Never tell a lie - Lügen können töten - Psychothriller
verschwindet? Das ist ungewöhnlich. Gleich nebenan wird eine zweite Frau in ihrem Garten überfallen? Das ist ebenfalls ungewöhnlich. Wenn man beides zusammen betrachtet, ist das ein Zusammentreffen ungewöhnlicher Umstände. Mein Bauch sagt mir, dass es zwischen den beiden Fällen vermutlich eine Verbindung gibt. Also suche ich nach dem gemeinsamen Nenner.«
»Dem gemeinsamen …« Ivy blieb der Mund offen stehen. »Sie können doch unmöglich glauben, dass ich …?«
»Helfen Sie mir weiter.« Blanchard setzte wieder sein gütiges Onkel-Bill-Gesicht auf. »Sagen Sie mir etwas anderes, woran ich mich halten kann.«
22
Als Detective Blanchard gegangen war, war Ivy wütend auf sich selbst, weil sie ihm nicht widersprochen hatte. Dummerweise musste sie zugeben, dass seine Argumente ziemlich stichhaltig waren. Es war naheliegend, dass eine Verbindung zwischen Melindas Verschwinden und dem Überfall auf Mrs Bindel bestand.
Ihr wurde eiskalt. Mit einem Stein von der Größe eines Tennisballs gegen den Kopf geschlagen. Hatte Mrs Bindel ihren Angreifer gesehen? Würde sie ihn identifizieren können, wenn sie wieder zu sich kam? Wenn sie wieder zu sich kam. Blanchards Bemerkung, dass ihre Verletzung viel schlimmer hätte sein können, ließ Ivy ein wenig Mut fassen.
Sie fand ein Stück Seil und band Phoebe an einen Pfosten von Mrs Bindels Wäscheleine. Die Hündin ergab sich mit einem anklagenden Blick in ihr Schicksal. Ivy füllte eine Plastikwanne mit Wasser und trug sie zu dem Tier hinüber. Später würde sie Hundefutter kaufen.
Sie kehrte zu ihrem Wagen zurück und stieg ein. Davids Seesack lag zerknautscht auf dem Beifahrersitz. Sie drückte auf die automatische Türverriegelung und fuhr rückwärts aus der Einfahrt. Während der Fahrt legte sie sich noch einmal zurecht, was sie David sagen wollte. Er würde ihr ein paar Fragen beantworten müssen.
Sie kam mit schmerzenden Kiefern bei der Polizeistation
an, so sehr hatte sie die Zähne zusammengebissen. Ivy fuhr auf den Besucherparkplatz und stieg aus.
Als sie den Seesack vom Beifahrersitz hob, spürte sie, wie ihr Bauch fest wurde. Es war kein Schmerz, nicht einmal ein Unbehagen, aber sie hatte ein flaues Gefühl im Magen. Sie legte eine Hand auf den Bauch und schloss die Augen.
Eins, zwei, drei … Als sie bei zehn ankam, war der Krampf vorbei. Wieder mal Vorwehen.
Ein Polizist, den Ivy nicht kannte, führte sie in einen kahlen Kellerraum mit Wänden aus Hohlblocksteinen. Ein feuchter Geruch schlug ihr entgegen. Der Raum war mit ein paar Klapptischen und billigen Plastikstühlen ausgestattet. Eine junge Frau saß bereits an einem der Tische. Ein mit einem Anzug bekleideter Mann, vermutlich ihr Rechtsanwalt, saß neben ihr. Auf der Schulhausuhr an der Wand war es zehn nach eins.
Ivy setzte sich mit verschränkten Armen und übergeschlagenen Beinen auf einen der Stühle und wippte mit dem Fuß. Nach wenigen Minuten erschien ein weiterer Beamter und führte David herein.
»Hallo, Stretch«, sagte er. Er sah blass und müde aus - nicht wie ein Schuft, sondern einfach nur wie David, der seine ganze Energie verloren hatte.
Ivy umklammerte die Armlehnen ihres Stuhls und versuchte, nicht die Fassung zu verlieren. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und Zorn flammte in ihr auf. Am liebsten hätte sie sich auf ihn gestürzt, mit den Fäusten gegen seine Brust getrommelt und ihn angebrüllt - eine Antwort auf die Frage von ihm verlangt, wie, in aller
Welt, er sie in diese entsetzliche Situation bringen konnte. War ihm denn nicht klar, was auf dem Spiel stand?
David sah sie kaum an. »Kommst du allein zu Hause zurecht?«, fragte er. »Geht es dir einigermaßen gut?« Er ließ sich auf einen Stuhl fallen, beugte sich vor und legte eine Hand auf ihren Bauch. »Hallo, kleiner Sprössling. Vermisst du mich?«
Ivy wagte nicht, etwas zu sagen. Sie war gekommen, um ihn zur Rede zu stellen, ihn zu zwingen, ihr endlich zu sagen, was hier vorging. Aber er sah so niedergeschlagen aus, dass es dem Versuch gleichgekommen wäre, auf einen Wackelpudding einzudreschen.
Er hob den Kopf und sah ihr in die Augen. »Was ist los?«
Ivy spürte, dass ihre Unterlippe zitterte. Womit sollte sie anfangen? Sie streckte hilflos die Arme aus. »Die Nachricht auf dem Anrufbeantworter, das Messer, das Flugticket …«
»Ivy, bitte … du kannst doch nicht glauben …«
»Das Flugticket ist von unserem Computer aus gebucht worden.«
»Was?« David fuhr hoch. Seine Augen blitzten auf,
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