New York für Anfaengerinnen
Ziel strebt: Die Wahrheit zu finden und die Wahrheit zu sein.«
Na dann, dachte Zoe, während Allegra eifrig zustimmend nickte. Al war längst aus ihrer Rolle als Chefredakteurin heraus und in die einer Sinn suchenden Julia-Roberts-Kopie hineingeschlüpft. Als hätte sie es ihr ganzes Leben lang nicht anders vorgehabt. Wie Zoe Allegra kannte, würde sie aus dem Trip auch noch irgendwie Geld schlagen. Vielleicht mit einer eigenen TV-Show für Sinnsuchende oder so.
Das Welcome Center des Resorts war dezent in edlem grauen Stein und Naturhölzern gehalten, sicherlich erdacht von irgendeinem Innenarchitektengenie, das achthundert Dollar die Stunde verlangte. Nach der Registrierung mussten alle Schäfchen einen Instant-Aids-Test ablegen. Während Zoe diese strikte Anordnung mit Verwunderung aufnahm, grinste Allegra nur erwartungsfroh.
»Eine Sorge weniger. Jeder Mann, der hier reinkommt, ist clean.«
Die beiden Freundinnen waren im Osho Guesthouse untergebracht, das mit seinen kamelfarbenen Eames Chairs locker einem Design-Hotel Konkurrenz machen konnte. Am folgenden Morgen, zur sehr christlichen Zeit von neun Uhr, trafen alle Neulinge zum Welcome Morning im Auditorium zusammen. Vatsayana, der Typ von gestern, nordete die Heilsuchenden ein. Er war groß und sehnig-dünn wie ein Marathonläufer. Kein Gramm Speck. Wenn Zoes Oma ihn hätte sehen können, wäre sie sofort von ihrem Fütterreflex überfallen worden und hätte ihm Berge von Kaiserschmarrn und Wiener Schnitzel aufgetischt, um ihn aufzupäppeln. Er mochte vielleicht vierzig Jahre alt sein, und Zoe fiel auf, dass er trotz seines indischen Sing-Sang-Englisch vom Hauttyp her ein Nordeuropäer sein musste.
»In dieser wunderbaren Welt leben wir alle in unseren ganz persönlichen kleinen Teichen des Elends«, zitierte er Osho. »Darum praktizieren wir hier jeden Tag die Stille-Meditation. Für Besucher ist es gemeinhin sehr schwer, aus ihrer gewohnten Lebensgeschwindigkeit auszutreten, ruhig zu sitzen und den Geist von all seinem Seelenmüll zu säubern. Wir helfen euch dabei.«
Zoe schaute ein bisschen genervt zu Allegra hinüber, die entspannt lächelnd im Schneidersitz hockte und offenbar schon mit dem Ausmisten begonnen hatte. Zoe aber wusste gar nicht, ob sie sich wirklich von all diesem Schrott da oben trennen wollte. Gehörte der nicht auch zu ihr? Sie beschloss, einen Spaziergang zu machen. Beten, meditieren – oder wie man das auch immer nennen mochte – war ein sehr vages Konzept für Zoe Schuhmacher, die U-Boot-Christin. Der olle Osho wird mein zerschundenes Herz kaum transzendental kitten können, dachte sie.
Hier war sie also, in der Stadt der Tugend, und fühlte sich weiter von sich selbst entfernt denn je.
*
Zur Morgenmeditation zog Zoe ihr dunkelrotes, bodenlanges Hängerkleidchen von Ella Moss an. Abends war per Kleiderordnung dann Weiß angesagt. Ein Dresscode wie im echten Club Med. In der achtundzwanzig Meter hohen Glaspyramide, die laut Prospekt das Auditorium mit einer Kapazität von fünftausend Menschen und einem disco-würdigen Sound- und Lichtsystem beherbergte, fand die einstündige Sitzung statt. Erst tanzten sie ein bisschen, wie Zoe es nannte, Ringelreihen. »Um unsere überflüssige Energie loszuwerden.« Allegra lachte happy und warf die Lockenmähne in den Nacken. Zoe machte – mitgefangen, mitgehangen – gutmütig mit. Fremde Menschen an den Händen zu fassen, und das auch noch in Indien, war nicht so ihr Ding. Dann setzten sie sich im Schneidersitz auf große Kissen auf den Boden. »Um die Stille über uns kommen zu lassen.«
Zoe versuchte ihr Gehirn zu entleeren. Wie aber dachte man an nichts? Und: Wenn man an nichts dachte, dachte man dann nicht doch an etwas? Immer wieder geisterte Benni Nigmann vor ihren verbissen zugekniffenen Augen herum, der dämliche Papst und natürlich Tom. Immer wieder Tom. Wie er dastand, als sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Völlig verblüfft, ein wenig hasserfüllt, als hätte ihm seine überraschend aufgetauchte Gattin einen Strich durch die so schön ausgeklügelte transatlantische Geliebtenrechnung gemacht. Eigentlich sollte ich mich glücklich schätzen, dass Tom nicht noch eine in Deutschland sitzen hatte und in der Schweiz und in Kanada, überlegte Zoe. Aber wer wusste das schon so genau?
Und schon waren ihre Gedanken mit ihr durchgebrannt.
Stille.
Leere.
Alles Mist.
Zoe sprang auf, lief nach draußen und setzte sich wütend auf eine Granitbank an einem
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