Nextopia
unzählige Male die Situation erlebt hatten, direkt nach dem Essen satt und gegen Ende des Arbeitstags halb verhungert zu sein, sollte ihnen die Bestellung eigentlich leichtfallen – sie wissen ja aufgrund umfassender Erfahrung, dass sie nach dem Mittagessen satt sind, genau wie sie wissen, dass ihnen ein paar Stunden später wieder der Magen knurrt. Ganz gleich, was eine Woche zuvor passiert ist. Mit anderen Worten, es gibt keine plausible Erklärung für die Tatsache, dass jene, die ihre Bestellung am späten Nachmittag aufgaben, sich anders entschieden als die gerade vom Mittagessen Zurückgekehrten. In beiden Gruppen entschied sich eine gleich große Anzahl von Menschen für Chips und Schokoriegel bei der Nachmittagslieferung, und eine gleich kleine Anzahl bestellte sie für den Verzehr auf vollen Magen.
Offensichtlich wissen die Menschen das eine und erwarten das andere. Wie im obigen Diagramm gezeigt, erwarten wir angesichts der aufsteigenden Linie unseres Hungers, dass dieser für einen langen Zeitraum anhalten wird, mindestens für eine Woche, obwohl wir aus Erfahrung wissen, dass jedes eingeschobene Mittagessen in den nächsten sieben Tagen die Hungerlinie nach unten treiben wird. Und Erwartungen sind mächtig. Sie sind so überwältigend, dass sie unseren Blickwinkel auf die Zukunft ändern, und zwar in einem Ausmaß, das uns an eine Veränderung unserer körperlichen Reaktionen glauben lässt.
Diverse weitere Studien ergaben ähnliche Ergebnisse. In einer davon beobachteten die Forscher das Verhalten von Besuchern einer Drogenentzugsklinik. Wenn die Heroinsüchtigen kamen, um sich eine Erhaltungsdosis Buprenorphine (»BUP«, ein Ersatzstoff ähnlich wie Methadon) abzuholen, wurden sie gebeten, zwischen einer zusätzlichen Dosis BUP oder Bargeld auf die Hand zu wählen, wenn sie fünf Tage später zu ihrem nächsten Besuch kamen. Die Hälfte der Besucher wurde unmittelbar vor der Verabreichungvon BUP vor diese Wahl gestellt, die andere Hälfte direkt danach. Die Aufzeichnungen zeigten, dass diejenigen Personen, die ihre Wahl vor der Behandlung trafen, fast doppelt so viel Wert auf das BUP legten wie jene, die sich erst nach der Behandlung entschieden.
Wieder einmal stand das Wissen in Konkurrenz zu den überwältigenden Erwartungen an die Zukunft, je nach gegenwärtigem Blickwinkel der Probanden. Da sie genau hier und jetzt nach Drogen lechzten, bildeten sie die Erwartung, dass sie in fünf Tagen mindestens genauso, wenn nicht sogar noch mehr danach verlangen würden. Von ihrem Standpunkt an der aufwärts zeigenden Linie aus konnten sie kein Abwärts erkennen. In dieser Hinsicht handelten die Drogensüchtigen also kein bisschen anders als Börsenhändler, die auf den fahrenden Zug aufspringen und im Wert steigende Aktien kaufen, um eine Blase zu bilden, die schließlich platzt. Die Drogenabhängigen handelten genauso wie all die Ökonomen, Geschäftsleute, Journalisten und Verbraucher, die wirtschaftliche Zyklen in die Länge ziehen, indem sie erwarten, dass gute Zeiten sogar noch besser und schlechte Zeiten sogar noch schlechter werden.
Die Trendillusion, zu erwarten, was wir sehen, oder heute vorauszusehen, dass es sich weit in die Zukunft erstrecken wird, ist eine Grundlage des menschlichen Verhaltens. Es reicht von Hunger und Heroinabhängigkeit über sexuelle Erregung und Angst bis hin zu unseren Geschäfts- und Kaufentscheidungen im Hinblick auf alles von der »richtigen« Marke über die »richtige« Farbe bis zum »richtigen« Geschmack. In unserer Vorstellung verwandeln wir das nächste iPad in ein elektronisches Gerät, das unser Leben für immer verändern wird, machen das demnächst erscheinende Album In Rainbows zum wertvollsten und nachhaltigsten Hitalbum aller Zeiten und sehen das Ende der Welt kurz nach einem tragischen Dienstagmorgen im September 2001 herannahen.
Die Trendillusion und der Trailerismus verwandeln auch unsere Sichtweise anderer Menschen und unser selbst. In der Erwartungsgesellschaft sindErrungenschaften nicht mit der Vergangenheit, sondern mit der Zukunft verknüpft. Den höchsten Status, sozusagen den Spitzenplatz auf der Leiter, an der die meisten von uns hinaufklettern, hat der Expectity – er hat zwar nichts Großes in der Vergangenheit geleistet, weckt aber die Erwartung, in Zukunft Großes zu leisten.
Sie werden schon sehen!
»Sie ist das neue It-Girl.«
»Der Star des nächsten Films …«
»Sie wird das Geschäft übernehmen.«
»Experten sagen voraus,
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