Nexus
ich fest, hatte einen seltsamen Ausdruck im Gesicht. Er wurde noch seltsamer, als der Kellner mit einem neuen Kühler voll Sekt erschien (durch Radar bestellt), der noch erfrischender, noch perlender war als der erste.
Hatten wir vielleicht sonst noch einen Wunsch? Die Stimme kam aus dem Hintergrund. Eine weiche, gepflegte Stimme, die von der Wiege an geschult war.
Niemand antwortete. Wir hatten alle den Mund voll. Die Stimme zog sich in die pythagoräischen Schatten zurück.
Mitten in dieser köstlichen Mahlzeit entschuldigte sich eines der Mädchen. Sie mußte eine Nummer absolvieren. Sie erschien wieder in der Mitte der Tanzfläche im orangefarbenen Licht eines Punktstrahlers. Ein menschliches Klappmesser. Wie sie die Verrenkungen zustande brachte, während der Hummer, der Kaviar und der Champagner in ihren Eingeweiden herumkollerten, konnte ich mir nicht vorstellen. Sie war eine Boa constrictor, die sich selbst verschlang.
Während dieser Vorführung plagte uns das Mädchen, das noch an unserem Tisch saß, mit Fragen. Immer mit derselben sanften, gedämpften Milch-und-Honig-Stimme, aber die Fragen wurden, wie ich bemerkte, immer direkter und unverschämter. Sie wollte offenbar die Quelle unseres Reichtums entdecken. Womit verdienten wir eigentlich unser Geld? Ihre Augen wanderten vielsagend über unsere Kleidung. Es war da eine Diskrepanz, die ihr zu denken gab, wenn man es so ausdrücken konnte. Oder waren wir ihr zu glücklich und zufrieden, zu wenig auf die irdischen Faktoren bedacht, die sich aus der Situation ergaben? Osieckis unverbindliches Grinsen, seine kurzen, nicht auf die Sache eingehenden Antworten ärgerten sie.
Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf die Verrenkungskünstlerin. Die Frage- und Antwortabteilung überließ ich Osiecki.
Die Nummer hatte jetzt den kitzligen Punkt erreicht, wo der Orgasmus dargestellt werden mußte. Auf dezente Weise natürlich. Ich hatte das Champagnerglas in der einen und ein Kaviarbrötchen in der anderen Hand. Alles verlief glatt, selbst der am Boden stattfindende Orgasmus. Dieselben Sterne, dasselbe schummerige Blau, dieselbe diskrete Sexmusik des Orchesters, derselbe Kellner, dasselbe Tischtuch. Plötzlich war es vorüber. Schwacher Beifall, noch eine Verbeugung, und schon kehrte sie an die Festtafel zurück. Noch eine Flasche Champagner, natürlich noch einmal Kaviar, noch ein paar Käsestangen. Ah, wenn das Leben doch nur so vierundzwanzig Stunden am Tag weiterginge! Der Schweiß rann mir jetzt aus allen Poren. Ich spürte den Drang, meinen Schlips abzunehmen. («Das darfst du nicht!» sagte eine winzige kleine Stimme in mir.)
Sie stand nun am Tisch. «Entschuldigen Sie, bitte», sagte sie, «ich komme im Augenblick wieder.»
Natürlich entschuldigten wir sie. Nach einer solchen Nummer mußte sie zweifellos Pipi machen, ihr Gesicht pudern und sich ein bisschen frisch machen. Wir würden ihr nicht alles aufessen. (Wir waren keine Wölfe.) Auch Champagner würde es noch geben- und uns .
Die Musik fing wieder an zu spielen, irgendwo im Blau der Mitternacht, diskret, intim, ein unausgesetztes flehendes Flüstern. Geisterhafte Musik - hergetragen aus den oberen Bezirken der Gonaden. Ich erhob mich halb und bewegte meine Lippen. Zu meiner Überraschung rührte sich der Engel nicht, der uns noch verblieben war. Sie sagte, sie wäre nicht in der Stimmung. Osiecki probierte seinen Charme aus. Dieselbe Antwort. Sogar noch lakonischer. Auch das Essen hatte seinen Reiz für sie verloren. Sie fiel in tödliches Schweigen.
Osiecki und ich aßen und tranken weiter. Die Kellner belästigten uns nicht mehr. Keine Kühler mit Champagner schwebten mehr auf uns zu. Die Tische um uns wurden langsam leer. Die Musik erstarb.
Die schweigende Fee stand plötzlich auf und ging davon, ohne sich zu verabschieden.
«Gleich wird die Rechnung kommen», bemerkte Osiecki, fast wie im Selbstgespräch.
«Und dann? Hast du genug Geld bei dir, zu bezahlen?»
«Das kommt drauf an», sagte er und lächelte durch die Zähne.
Tatsächlich erschien jetzt der befrackte Kellner mit der Rechnung in der Hand. Osiecki nahm sie, sah sie lange und langsam durch, addierte mehrmals laut die einzelnen Posten und sagte dann zu dem Kellner:
«Kann ich den Geschäftsführer sprechen?»
«Folgen Sie mir bitte», antwortete der Kellner mit unverändertem Ausdruck.
«Ich bin gleich wieder da», sagte Osiecki und schwenkte die Rechnung, als hätte er eine wichtige Depesche von der Front bekommen.
Ob in
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