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Nibelungen 04 - Das Nachtvolk

Titel: Nibelungen 04 - Das Nachtvolk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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was von dem, was sich bis zu seiner Genesung erei g nete, wirrer Fiebertraum und was Wirklichkeit war. Einmal hockte ein großer, schwarzer Rabe auf seiner Brust, der gierig nach dem brandigen Fleisch pickte, dann wieder sah er eine Frau in einem Umhang aus Rabenfedern neben sich knien.
    Die Gebeine der Toten erhoben sich aus den Grabnischen und tanzten um ihn. Allen fehlte der Schädel, und doch konnten sie zu ihm sprechen und flüsterten ihm, daß er schon bald zu ihnen gehören würde.
    Einmal erwachte er und sah, über sich gebeugt, die Frau, die ihm die Decke gebracht hatte. Jetzt hielt sie ein Messer in der Hand. Sie schnitt das schwärende Fleisch aus der Wunde auf seiner Brust und legte ihm dann einen Verband an, der nach Essig und nach Kräutern duftete. Er hatte keine Kraft, sie anz u sprechen. Nicht einmal die Augen konnte er bewegen. Es war, als habe ein Zauber sie in den Höhlen festwachsen lassen.
    Das faulige Fleisch und die eitergetränkten Verbände legte die Fremde in eine flache Schale aus Ton, und Volker begriff, daß nicht die Toten es waren, von denen der Verwesungsgeruch ausging. Die schöne Heilerin hatte indessen ein Pulver in einen kleinen Becher aus Silber geschüttet und hielt nun ihre Hände darüber.
    »O Schattenverschlinger, der aus der Grube hervorgeht,
    ich habe kein Unrecht getan und meine Reinheit bewahrt.
    O Schreckgesicht, das aus Rasetjau hervorgeht,
    ich habe keinen Menschen getötet und meine Reinheit bewahrt.
    O Knochenzerbrecher, der du aus den alten Städten hervorgehst,
    ich habe keine Nahrung gestohlen und meine Reinheit bewahrt.
    O Schlangendrachen, der aus der Schlachtstätte hervorgeht,
    ich habe nicht den Mann einer anderen Frau beschlafen und meine Reinheit bewahrt.
    O Große Mutter, die du die Fruchtbarkeit bringst,
    ich habe mich allein dir geschenkt und meine Reinheit bewahrt.
    O Götter des Himmels, der Erde, des Feuers und der See,
    leiht mir Eure Kraft, auf daß ich vermag, meine Reinheit in diesem Trunk aufgehen zu lassen.
    O Götter des Himmels, der Erde, des Feuers und der See,
    nehmt das Gift aus der Wunde des Fremden und laßt es in den grauen Stein fließen, in dem das Böse gefangen ist.«
    Die Fee stützte Volkers Kopf und setzte ihm den Becher an die Lippen. Der Spielmann bemühte sich zu schlucken. Süßer Wein füllte seinen Mund und tropfte ihm auf die Brust. Erst als er den Becher bis zur Neige geleert hatte, ließ die Fee sein Haupt wieder zurücksinken. Aus einem kleinen bestickten Beutel an ihrem Gürtel holte sie einen grauen Stein, durch den ein Loch gebohrt war, und schob ihn zwischen die Verbände auf seiner Brust.
    Wohlige Wärme durchströmte Volkers Körper, so als habe er einen starken Branntwein getrunken. Er beobachtete, wie die Fee ein kleines Feuer in einer kupfernen Schale entfachte und dann Kräuter in die Flammen warf, deren Duft den Geruch des fauligen Fleisches vertrieb. Langsam wurden ihm die Augenl i der schwer. Wie von Ferne erklang leises Harfenspiel, und er konnte die melancholische Stimme einer Frau hören, die ein Lied sang, dessen Worte er nicht verstand. Dennoch war er sich sicher, daß es die Klage um einen Toten sein mußte, und er fragte sich, ob sie wohl für ihn sang.

    Sie erreichten Martinopolis an einem strahlenden Nachmittag. An einer kleinen, steinernen Brücke über die Cisse legte die kleine Gruppe eine letzte Rast ein, bevor der Bischof und sein Gefolge in die Stadt einritten. Von dort konnte man weit über das Land sehen. Der Fluß erschien wie ein breites, silbernes Band, an dem sich zahllose Seen aufreihten. Die Felder entlang des Wassers waren von zartem Grün, durchsetzt mit bunten Tupfen. Der Frühling hatte hier schon Einzug gehalten. Mächtig erhoben sich die Wälle der Stadt über den Fluß. Viele Bollwerke und Schanzen verstärkten die dicken Festungsmauern. Dahi n ter streckten sich die kantigen Türme der Kirchen zum Himmel, überragt von der mächtigen Kathedrale Saint-Gatien.
    Sie waren durch das Portal des Kreuzes in die Stadt eingeri t ten, vorbei an der Abtei Marmoutier und der alten, aus groben Felsblöcken gemauerten Siebenschläfer-Kapelle. Durch die e n gen Gassen der Weber und Tuchhändler führte sie ihr Weg zur Burg, die nahe dem Ufer der Loire lag. Die Banner des Königs und seiner bedeutendsten Herzöge wehten von den Zinnen. Golo war überrascht, wie schnell man den Bischof in die Fes t halle durchließ. Jehan war nicht nur der geistliche Herr von Saintes, sondern auch der Graf

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