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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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man es, wenn man vorsichtig ist, dazu
bringen kann, etwas für einen zu tun. So habe ich die Leute gekriegt, die Sie
gerade erschossen haben. Und so hat Glynis Sie gekriegt.«
    »Stehen Sie auf.«
    Teague sah Merle eindringlicher an.
    »Sie hören mir nicht zu, junger Mann. Das sollten Sie aber. Wissen
Sie, wie alt ich bin? Hundertzwanzig Jahre. Sehen Sie mich an: Ich kann noch
stehen, ich kann noch immer einen Whiskey trinken, kann noch immer gut essen
und pinkeln, wenn ich will, und nicht pinkeln, wenn ich nicht will. Es hat mich
ein Vermögen gekostet, so lange gesund und am Leben zu bleiben, aber ich hatte
ja auch einen verdammt guten Grund, nicht? Ich wusste, dass sie auf mich
wartet. Ich weiß von dem Feld auf der Farm, ich weiß, was da ausgegraben und
beerdigt wird und welche armen Seelen diese Arbeit tun müssen. Sie graben
einander aus, mein Sohn, die Toten graben die Toten aus, dann tauschen sie die
Plätze in den morschen alten Särgen, und diejenigen, die ausgegraben worden
sind, beerdigen die Ausgräber. Immer und immer wieder, Jahr um Jahr. Bis die
Sonne vergeht und die Sterne erlöschen. Glynis nennt es die Ernte .
Sie tut es, weil das Wesen im Crater Sink es will, auch wenn sie das nicht
weiß. Ich habe mich lange davon ferngehalten, und wenn Sie ein vernünftiger
junger Mann mit einem Sinn für außergewöhnliche Vergnügungen sind, werde ich
mich noch ein paar Jahre davon fernhalten können. Was sagen Sie dazu?«
    »Ich sage nein. Stehen Sie auf und kommen Sie mit.«
    Teague musterte Merles Gesicht und fand darin nichts, an das er
hätte appellieren können. Er seufzte schwer, beugte sich vor, stellte das Glas
auf den Klapptisch, stützte die Hände auf die Armlehnen des Sessels und erhob
sich langsam.
    Merle trat zurück, als Teague auf die Beine kam und sich zu ihm
wandte.
    »Hier?«
    »Draußen«, sagte Merle.
    »Warum nicht hier?«
    »Draußen. Im Park. Unter den Bäumen.«
    Teague starrte Merle an.
    »Sie wollen ein Duell?«
    »Ich bin gekommen, um Sie zu töten. Glynis hat gesagt, wenn Sie
bereit sind, sich einem Duell zu stellen, sollen Sie Gelegenheit dazu bekommen.
Sind Sie bereit?«
    »Ich habe keinen Sekundanten.«
    Merle sah ihn an.
    »Ich kann Ihnen einen besorgen. Sind Sie bereit?«
    Ein leiser Zug von Schläue strich über Teagues Gesicht.
    »Ja, das bin ich. Aber ich habe keine Waffe.«
    »Ich habe zwei.«
    »Degen? Pistolen?«
    »Pistolen.«
    Teague sah Merle eine volle Minute lang an, dann rückte er den
Morgenmantel zurecht und schlurfte zur Tür.
    Merle folgte ihm.
    Albert Lee erhob sich, als er Merle und den hochgewachsenen alten
Mann in Morgenmantel und Hausschuhen durch den langen dunklen Korridor kommen
sah.
    Er trat beiseite, als sie hinausgingen. Der alte Mann musterte ihn
im Vorbeigehen. Als Junge war Albert einmal an der Küste gewesen, in der Gegend
von Pensacola, und dort hatte es ein großes Aquarium mit einem Hai gegeben, der
im Kreis herumgeschwommen war und die Menschen beobachtet hatte: Die Kiemen
hatten sich bewegt, und das Auge war wie ein glänzender schwarzer Stein
inmitten der weißen Haut gewesen. Genau so sah der alte Mann ihn an.
    Albert folgte ihnen durch den Nebel, der hüfttief über dem Boden
lag. Im betauten Gras hinterließen seine Schritte eine dunkle Spur. Es war
niemand zu sehen, keine Krähe flog über den Himmel, kein Hund bellte in der
Ferne.
    Nur Nebelschwaden, mit Spanischem Moos behangene Eichen und reglose
Trauerweiden, kein Geräusch außer dem ihrer Schritte, als sie zu einer weiten,
auf allen Seiten von Bänken umstandenen Fläche gingen.
    Merle blieb stehen, und Teague ging, nach ganz kurzem Zögern, noch
zwanzig Schritte weiter, drehte sich um, richtete sich auf und straffte die
Schultern.
    Er sah Merle an.
    »Ist es so recht?«
    »Ja«, sagte Merle und wandte sich an Albert.
    »Geben Sie Mr Teague Ihren Revolver, Albert.«
    »John, das ist er nicht wert. Er ist ein mieser Feigling –
erschießen Sie ihn einfach.«
    »Sie hat mich gebeten, ihn zu fordern, um zu sehen, ob er sich einem
Duell stellen will. Er sagt, er will. Also geben Sie ihm bitte Ihre Waffe.«
    Albert sah den alten Mann an.
    »Er könnte Sie töten.«
    »Ja.«
    Albert lächelte ihn an.
    »Und was noch schlimmer ist: Wenn er meinen Revolver hat, kann er
erst Sie und dann mich erschießen. Und wie stehen wir dann da?«
    »Ich werde Sie nicht erschießen«, sagte der alte Mann. »Es ist gegen
die Regeln, den Sekundanten zu erschießen. Also los.«
    Albert überprüfte

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