Nicholas Dane (German Edition)
zischte er, jetzt ebenfalls wütend. Er fing sich wieder. »Nick, keiner nimmt’s dir übel, wenn de dir auf diese Weise ’n paar Extras verschaffst. In so ’m Laden hier nimmt man mit, was man kriegen kann.«
Nick schnaubte angewidert und schubste Davey aus dem Weg. Davey ging ihm hinterher, aber das Gespräch war zu Ende. Mehr würde er aus Nick nicht herausbekommen.
Es konnte nicht mehr lange dauern.
Davey wusste zwar, dass es um Sex ging, aber wie Creal seine Opfer manipulierte oder wie sich das anfühlte, ahnte er nicht. Oliver hingegen wusste es nur zu gut. Er spürte Nicks Blicke. Er wusste, was sich hinter den dunklen Augen verbarg, und hielt sich in sicherer Entfernung.
Wenn er es geschafft hätte, Nick aus dem Weg zu gehen, bis der sich beruhigt hätte, einen oder zwei Tage lang, wäre vielleicht alles gut gegangen. Aber es kam anders.
Es war später Nachmittag – Sportunterricht. Oliver war wie üblich befreit und jätete Unkraut in den Gemüsebeeten. Nick war auf dem Sportplatz und wurde aufs Neue zur Zielscheibe. Die Aufsichtsschüler waren wie ein Rudel Hyänen, sie hatten ihm angesehen, dass er kurz vor dem Ausrasten war, und nahmen ihn in die Mangel – sie stichelten, zogen ihn auf, gingen ihn härter an als nötig. Der Sportlehrer Mr Peake hatte Mitleid mit Nick und schickte ihn Bälle holen, so dass er kurz verschnaufen konnte. Als Nick rüber zur Turnhalle stapfte, sah er eine kleine blonde Gestalt Richtung Klo rennen. Nick blickte sich um, überprüfte, ob ihm jemand hinterherkam, legte einen Zahn zu und folgte Oliver.
In den Toilettenräumen herrschte Grabesstille – Oliver musste Nick bemerkt haben. Nick drückte gegen die Türen der Kabinen, bis er die fand, die verriegelt war, dann stellte er sich in der Kabine daneben auf den Toilettensitz. Oliver hockte auf dem Klo und blickte mit kreidebleichem Gesicht zu ihm hoch.
»Oliver«, sagte Nick.
Er stieg hinunter, stieß die Kabinentür mit der Schulter auf und schaute in aller Seelenruhe zu, wie Oliver die Hosen hochzog und zu weinen anfing. Seltsamerweise musste Nick auch weinen.
»Du hast mir nichts gesagt.«
»Ich habe gedacht, du weißt es.«
»Du mieser kleiner Lügner.« Nick ballte die Hände zu Fäusten und trat näher.
»Lass mich durch«, quiekte Oliver. Er versuchte, sich an Nick vorbeizudrücken, aber Nick packte ihn am Hemd und drückte ihn gegen die Wand.
»Und die ganze Zeit über hat er dich in den Arsch gefickt, stimmt’s? Du kleine Schwuchtel, du. Das hat er doch getan, oder?«
Oliver antwortete nicht. Er barg den Kopf in den Händen und fing an zu schluchzen.
»Bitte nicht!«, bettelte er. »Bitte, bitte nicht …«
»Und du stehst drauf, stimmt’s!«, schnarrte Nick. »Genau – du stehst drauf. Stimmt doch, oder? Oder?« Oliver wusste, dass er geliefert war. Verzweifelt versuchte er, Nick zur Seite zu stoßen und zu fliehen, aber er steckte in der Falle. Nick warf ihn einfach zu Boden und hob seinen Fuß.
Hinterher konnte Nick sich an wenig erinnern – hatte nur das Bild des kleinen Körpers vor Augen, der sich am Boden krümmte, und er sah sich selbst, wie er zutrat und trampelte, zutrat und trampelte. Er wusste noch, dass er sich ein- oder zweimal zu seinem Opfer hinabgebeugt hatte, um es zu schütteln, gerade so, als wollte er es aus einem Albtraum wecken. Zum Glück für beide wurden Olivers Hilferufe gehört und die anderen Jungen zerrten Nick weg. Das war nicht leicht, denn Nick war wie besessen. Seine Trauer, die Ungerechtigkeit, die Gewalt, der sexuelle Missbrauch, alles, was ihm seit dem Tag, an dem seine Mutter starb, geschehen war, mündete in dieser schrecklichen Attacke gegen den Falschen. Zweimal riss er sich los und stürzte sich erneut auf den verletzten Oliver.
Erst die Aufsichtsschüler konnten Nick halten. Andrews und ein anderer Junge packten ihn und schlugen ihm mehrfach mit aller Kraft in die Nieren, so dass er keuchend zu Boden ging. Sie zerrten ihn aus der Kabine. Sie waren wütend. Nick hatte Oliver schwer verletzt, und weil das während ihrer Aufsicht geschehen war, würden sie richtig Ärger kriegen. Sie schleppten Nick zwischen die Urinale und traten nun selber ordentlich zu, aber davon spürte er kaum etwas. Er hörte nur Oliver, der schon die ganze Zeit immer und immer wieder geschrien hatte. »Ich steh nicht drauf!«, hatte er gebrüllt, »ich steh nicht drauf, ich steh nicht drauf, ich steh nicht drauf«, immer und immer wieder.
Wenn Mr James etwas
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