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Nicholas Dane (German Edition)

Nicholas Dane (German Edition)

Titel: Nicholas Dane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melvin Burgess
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splitterübersäten Dach landeten. Das Glas schnitt ihnen in die Füße, aber es war nicht allzu schlimm. Sie huschten zum Rand des Daches, wo sie wieder einen Moment zögerten. Noch ein Sprung. Sie hatten keine Ahnung, ob sie auf weicher Erde, Rosensträuchern, anderen Pflanzen, Steinen oder Stöcken landen würden. Über ihnen ging Licht an. Nick blickte sich um und sah nur ein paar Meter entfernt Leute am Fenster auftauchen, aber für irgendwelche Überlegungen war keine Zeit. Wieder griffen sie nach unten, ließen sich hängen und dann fallen – zum Glück auf nasses Gras.
    Sobald sie den Boden berührt hatten, preschten sie los wie Hunde. Der prasselnde Regen hatte sich in ein Nieseln verwandelt. Sie blickten sich um und sahen, dass ein Verfolger schon mit einem Bein aus dem Fenster war, dann aber zögerte. Draußen war es nass und im Rahmen steckten noch lauter rasiermesserscharfe Splitter. Es war Julian, einer der Aufsichtsschüler. Er wollte nicht nass werden, er wollte sich nicht schneiden, denn er konnte etwas sehen, das Nick noch nicht bemerkt hatte – den Streifen hellroten Blutes auf der Rückseite seiner Schlafanzughose.
    Nick rutschte auf dem nassen Gras aus, es tat höllenmäßig weh, aber schon war er wieder auf den Beinen und rannte so schnell er konnte der verblassenden Gestalt Daveys hinterher, auf die Bäume zu, wo sie außer Sichtweite wären, humpelte gehetzt zwischen den Büschen hindurch, rutschte und schlitterte auf dem nassen Gras, stürzte, stand wieder auf, fiel erneut. In den Augen hatte er Schlamm und Wasser, er konnte überhaupt nichts sehen und hatte keinen Schimmer, wo er war.
    Plötzlich kam Davey rückwärts aufs Gras geflogen. Er war im Dunkeln gegen den Zaun gerannt und abgeprallt. Nick sprang am Zaun hoch und krallte sich fest. Davey landete krachend neben ihm, hängte sich in den Zaun, und beide zogen sich hoch. Oben verharrten sie und blickten sich um. Sie hielten die Luft an, damit sie etwas hören konnten.
    Um sie herum war alles ruhig. Das Schlagen ihrer Herzen war von nächtlicher Stille umfangen. Doch vom Haus her drang lautes Klopfen. Das waren die Aufsichtsschüler Julian und Andrews und andere, die von innen an die Türen donnerten. Sie wagten nicht, den Jungen durch das offene Fenster und über das mit Glasscherben übersäte Dach zu folgen, und wollten, dass Toms ihnen aufschloss und sie ungefährdet hinauskonnten. So gerieten die verschlossenen Türen Davey und Nick wenigstens einmal zum Vorteil.
    Wind kam auf, es fing wieder kräftiger zu regnen an. Sie waren ganz allein im Schutz aller verzweifelten Ausreißer – schauderhaftem Wetter.
    Beide ließen sich auf der anderen Seite des Zaunes fallen, nun schon in Sicherheit, und rannten los. Nach ein paar Metern hörten sie Straßenverkehr. Sie waren zurück in der Welt – einer kalten, dunklen, nassen, verregneten Welt. Die einzige Frage war – wohin?
    »Keinen Schimmer, Alter«, sagte Davey.
    Ein paar Minuten später versteckten sie sich hinter einem Busch und blickten auf eine Straße. Hin und wieder fuhr ein Auto vorbei. Auf der anderen Straßenseite standen Häuser, in allen war es dunkel, nur einige Außenlampen beleuchteten den Regen. Beide Jungen hatten von den Scherben auf Toms’ Dach Wunden an den Füßen, und Nick hatte eine hässliche Schnittwunde am Hintern. Sie blutete immer noch und fing langsam an, übel wehzutun, obwohl es so kalt war.
    Sie froren, waren nass bis auf die Haut, und außer ihren dünnen Schlafanzügen hatten sie nichts, was sie vor dem Wind und dem eisigen Regen hätte schützen können.
    Wohin?
    Beide stammten aus Nord-Manchester, aber sie befanden sich im Süden der Stadt. Sie hatten gehofft, sie könnten sich außer Sichtweite des Heims schleichen und sich dann durch kleine Straßen und Parks so weit vorarbeiten, bis sie sich auskannten und den Weg nach Hause fanden. Sie wollten ins Zentrum. Bei Dunkelheit. Im Schlafanzug …
    Bei der Planung ihrer Flucht hatten sie das für eine gute Idee gehalten.
    »So können wir nich draußen bleiben, so nich«, sagte Davey. »Wir holn uns den Tod.«
    Sie musterten sich gegenseitig und fingen an zu kichern. Wie oft hatten sie diesen Satz schon gehört? Immer war der blödsinnig gewesen, aber jetzt passte er einmal. Ihre Körpertemperatur sank. Die Kälte kroch ihnen in die Knochen. Schon bewegten sie sich langsamer, wie alte Männer oder wie Insekten, deren Ende nah ist. Sie hatten keine Regenkleidung, nichts Warmes, nichts

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