Nicholas Dane (German Edition)
zwölf. Er hatte das Gefühl, schon ewig so dazuliegen.
Die Sekunden, Minuten, Stunden zogen sich in die Länge. Nicht zu oft umdrehen, damit niemand etwas merkt, darauf warten, dass der Mond vor dem Fenster auftaucht und hinter dem Haus verschwindet. Es wurde dunkler. Dann kam Wind auf – Nick hörte ihn in den Bäumen rauschen –, und als der Mond ganz weg war, wurde die Nacht noch dunkler. Es fing an zu regnen. Erst pochte der Regen an die Fenster, dann prasselte er. Der Wind wurde kräftiger, und schon bald rüttelte er in den Bäumen, schlug an die Fensterrahmen und auf das Dach über ihm. Nick kuschelte sich in seine Kissen. Was für eine Nacht! Nicht mehr lange, und er würde in seinem dünnen Schlafanzug dort draußen sein.
Doch Wind und Regen würden ihnen die Aufsichtsschüler vom Hals halten. Die würden bei so einem Wetter nicht besonders scharf drauf sein, Davey und ihm hinterherzujagen.
Endlich ging bei Toms das Licht aus. Wieder schienen ganze Wochen zu vergehen. Jemand stand auf und schloss das Fenster – es regnete rein – und Nick musste weiter warten.
Erneut zogen sich die Minuten in die Länge. Noch eine Stunde, vielleicht länger. Schon ewig währte die Stille.
Es war so weit.
Nick setzte sich auf und blickte sich um. Keiner rührte sich. Er stellte den Fuß auf die kühlen Dielenbretter. Wie anders war alles in der Nacht – so ruhig, so still. Aber nicht sicher. Hier war es nirgends sicher. Er konnte bis aufs Blut verprügelt werden, nur weil er sein Bett verließ.
Er stand auf. Lautlos wie eine Katze schlich er über den Fußboden bis zu Daveys Bett. Er blickte hinab. Davey lag flach auf dem Rücken und schnarchte leise. Doch dann schlug er die Augen auf und zwinkerte.
Nick machte eine Bewegung mit dem Kopf. Beide Jungen tippelten auf Zehenspitzen aus dem Schlafraum in den Flur.
Es ging los.
Im Korridor war es so dunkel, dass sie kaum etwas sehen konnten, und sie wagten nicht, das Licht einzuschalten. Sie tasteten sich vor bis zu dem blassen Rechteck, dem Fenster am Ende der Treppe, und blickten hinaus. Sie sahen nur den Regen, den der Wind gegen die dreckige Fensterscheibe drückte.
Nick holte tief Luft. Bis dahin hatte alles ganz leise vor sich gehen müssen. Nun mussten sie die Scheibe einschlagen. Er wandte sich zu dem Feuerlöscher um, der ein paar Meter entfernt an der Wand hing.
Das tat er schon seit Jahren. Und es passierte immer mal wieder, dass ein Neuer damit rumspritzte. Die alten Hasen machten so etwas nie. Sie wussten, dass sich solche Spielchen einfach nicht auszahlten, denn hinterher gab es immer gewaltig Prügel. Die Erzieher hätten das Gerät gerne abgeschafft, aber der örtliche Feuerschutzbeauftragte nahm es sehr genau mit den Brandschutzbestimmungen, also blieb der Feuerlöscher dort hängen. Im Laufe der Jahre war er schon ein halbes Dutzend Mal durch das Fenster geflogen, und niemand konnte verhindern, dass es wieder geschah.
»Fertig?«
»Los!«
Mit einem Grunzen riss Nick den Feuerlöscher vom Haken und ging damit zum Fenster. Er stemmte das Ding hoch über seinen Kopf – es wog eine Tonne –, hielt kurz inne, dann schleuderte er es durch die Scheibe.
Der Lärm erschütterte die schlafende Nacht, als würde Satan höchstpersönlich aus der Hölle auffahren. Der schwere Metallzylinder flog in einem Hagel aus Glasscherben abwärts und polterte auf das Flachdach. Toms, der direkt darunter schlief, fuhr mit einem Ruck hoch und knurrte die Decke an. Davey jubelte lauthals. Hinter ihnen dröhnten die Rufe und Schreie aus dem Schlaf gerissener Jungen.
Im Rahmen des Fensters steckten lauter spitze Glassplitter. Davey hatte sich seinen Bademantel um den Arm gewickelt und schlug die gröbsten Stücke raus.
»Los, mach!«, schrie er Nick zu. Es waren erst Sekunden vergangen, aber hinter ihnen polterten schon Schritte auf den Dielen. Nick sprang aufs Fensterbrett und stieg über die Glasdolche hinweg, die noch im Rahmen steckten. Als er in die Hocke ging, erwischte ihn ein Splitter, aber er hatte keine Zeit, sich darum zu kümmern. Davey folgte ihm, für einen Augenblick verharrten beide auf dem Fensterbrett. Unter ihnen war es stockdunkel – sie konnten nicht mal das Dach unter sich sehen.
»Da sind sie!«, rief jemand.
»Los!«, stieß Nick heraus. Die beiden Jungen drehten sich um und ließen sich vom Fensterbrett hinunter, blieben eine Sekunde an den Händen hängen, bevor sie sich nacheinander fallen ließen und wie reife Früchte auf dem
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