Nicholas Flame Bd. 1 Der Unsterbliche Alchemyst
kann. Das muss ich anderen überlassen.«
Josh schaute hoch. »Es gibt noch andere, die mich erwecken könnten?«
Die Hexe ignorierte seine Frage. »Das Mädchen hat die reinste silberne Aura, die ich in vielen Jahrhunderten gesehen habe. Man muss ihr ein paar Zauberformeln zu ihrem persönlichen Schutz beibringen, damit sie den Rest des Erweckungsprozesses überlebt. Die Tatsache, dass sie nach so vielen Stunden noch bei Verstand und gesund ist, zeugt von ihrem starken Willen.« Sie legte den Kopf in den Nacken und Sophie sah ihr Gesicht in einem an der Decke befestigten Spiegel. Es war ihr zugewandt. »Das kann ich machen.«
»Danke!«, sagte Nicholas Flamel mit einem tiefen Seufzer. »Ich weiß, wie schwer die letzten Stunden für sie waren.«
Josh merkte, dass er seine Schwester nicht anschauen konnte. Die Erweckung ihrer Kräfte war noch nicht abgeschlossen. Hieß das, dass sie noch mehr Schmerzen aushalten musste? Es brach ihm fast das Herz.
Scathach kniete sich neben den Stuhl, auf dem ihre Großmutter saß, und legte ihr eine Hand auf den Arm. »Gran, Dee und seine Gebieter suchen die beiden fehlenden Seiten aus dem Codex. Ich könnte mir vorstellen, dass sie inzwischen wissen – oder es zumindest vermuten -, dass Sophie und Josh die in Abrahams Buch der Magie erwähnten Zwillinge sind.«
Dora nickte. »Dee weiß es.«
Scathach warf Flamel einen verstohlenen Blick zu. »Dann ist ihm auch klar, dass er nicht nur an die Seiten herankommen, sondern die Zwillinge entweder gefangen nehmen oder umbringen muss.«
»Es ist ihm klar«, bestätigte Dora.
»Und wenn es Dee gelingt, ist dies das Ende dieser Welt?« Scathach machte aus dem Satz eine Frage.
»Das Ende der Welt hatten wir schon öfter«, erwiderte die Hexe und lächelte. »Und ich bin sicher, dass es noch viele Male kommt, bevor die Sonne schwarz wird.«
»Du weißt, dass Dee die Dunklen Älteren zurückholen will?«
»Das weiß ich.«
»Im Codex steht, dass die Dunklen nur durch Silber und Gold aufgehalten werden können«, fuhr Scatty fort.
»Wenn mit meinem Gedächtnis noch alles stimmt, steht im Codex auch, dass Äpfel giftig sind und Frösche sich in Prinzen verwandeln können. Du darfst nicht alles glauben, was geschrieben steht«, meinte die Hexe abschätzig.
Flamel kannte die Stelle mit den Äpfeln. Er hatte vermutet, dass sie sich auf Apfelkerne bezog, die tatsächlich giftig waren – wenn man mehrere Pfund davon aß. Über die Stelle mit den Fröschen und Prinzen war er nicht gestolpert, obwohl er das Buch mehrere hundert Mal durchgelesen hatte. Er hätte der Hexe gern zahllose Fragen gestellt, aber sie waren aus einem anderen Grund hier. »Dora, wirst du Sophie die Prinzipien der Luftmagie beibringen? Sie muss wenigstens so viel lernen, dass sie sich vor einem Angriff schützen kann.«
Dora zuckte mit den Schultern und lächelte. »Habe ich denn die Wahl?«
Diese Antwort hatte Flamel nicht erwartet. »Natürlich hast du die Wahl.«
Die Hexe von Endor schüttelte den Kopf. »Dieses Mal nicht.« Sie nahm die dunkle Brille ab. Scatty rührte sich nicht und in Flamels Gesicht verriet nur ein zuckender Muskel seine Überraschung. Die Zwillinge jedoch wichen entsetzt zurück. Die Hexe von Endor hatte keine Augen.
In den Höhlen, wo Augen hätten sein sollen, saßen Ovale aus Spiegelglas. Diese Spiegel wandten sich jetzt den Zwillingen zu. »Ich habe meine Augen gegeben für das zweite Gesicht, die Fähigkeit, die Muster der Zeit zu erkennen – in Vergangenheit, Gegenwart und möglicher Zukunft. Es gibt viele Muster, viele Versionen und Zukunftsmöglichkeiten, wenn auch nicht so viele, wie die Leute glauben. In den letzten Jahren hat sich alles zusammengefügt, sich immer enger verbunden. Jetzt gibt es nur noch einige wenige Zukunftsmöglichkeiten. Die meisten sind schrecklich. Und sie haben alle mit euch beiden zu tun.« Ihre Hand zeigte direkt auf Sophie und Josh. »Welche Wahl habe ich also? Das ist auch meine Welt. Ich war vor den Humani hier, ich habe ihnen das Feuer gegeben und die Sprache. Ich werde sie jetzt nicht im Stich lassen. Ich werde das Mädchen ausbilden, ihr beibringen, wie sie sich selbst schützen kann, und sie lehren, wie man die Lüfte beherrscht.«
»Danke«, sagte Sophie zögernd in die lange Stille hinein, die darauf folgte.
»Danke mir nicht. Was ich dir gebe, ist kein Geschenk. Es ist ein Fluch.«
KAPITEL SECHSUNDDREISSIG
J osh verließ mit hochroten Wangen den Antiquitätenladen. Die letzten Worte
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