Nicholas Flamel Bd. 2 Der dunkle Magier
würde.
Dann neigte er leicht den Kopf, und seine Nasenflügel bebten erneut, als ihm Scathachs Geruch entgegenwehte. Die Schattenhafte war wieder in der Stadt!
Die Feindschaft zwischen Dagon und der Schattenhaften reichte Jahrtausende zurück. Er war der Letzte seiner Art … weil sie seine gesamte Rasse ausgelöscht hatte in dieser einen entsetzlichen Nacht vor zweitausend Jahren. Hinter seiner verspiegelten Sportsonnenbrille füllten sich seine Augen mit klebrigen, farblosen Tränen, und er schwor sich, dass er dieses Mal Rache nehmen würde an Scathach, egal was zwischen Machiavelli und Flamel geschah.
»Gehen, nicht rennen!«, befahl Scathach. »Saint-Germain, du gehst voraus, Sophie und Josh, ihr bleibt in der Mitte und ich übernehme die Nachhut.« Scattys Ton duldete keine Widerrede.
Sie gingen rasch über die Brücke und bogen nach rechts in die Avenue de New York ein. Nachdem sie ein paar Mal kurz hintereinander links und rechts abgebogen waren, erreichten sie eine schmale Seitenstraße. Es war immer noch früh am Morgen und die Straße lag vollständig im Schatten. Die Temperatur fiel sofort um etliche Grad, und den Zwillingen fiel auf, dass aus den Fingerspitzen an Saint-Germains linker Hand Funken sprühten, als sie leicht an der schmutzigen Wand entlangstrichen.
Sophie runzelte die Stirn und kramte in ihrem Gedächtnis – beziehungsweise im Gedächtnis der Hexe von Endor – nach dem, was sie über Saint-Germain wusste. Sie merkte, wie ihr Bruder sie von der Seite her anschaute, und hob fragend die Augenbrauen.
»Deine Augen waren silbern. Nur für einen Augenblick«, sagte er.
Sophie blickte sich zu Scathach um, die in einigem Abstand hinter ihnen ging, und schaute dann zu dem Mann im Ledermantel. Sie waren beide außer Hörweite. »Ich habe versucht, mich zu erinnern, was ich über ihn weiß …« Sie schüttelte den Kopf. »Was die Hexe über Saint-Germain weiß.«
»Und was ist mit ihm?«, fragte Josh. »Ich hab nie von ihm gehört.«
»Er ist ein berühmter französischer Alchemyst«, wisperte sie, »und gehört zusammen mit Flamel wahrscheinlich zu den ge
heimnisvollsten Männern der Geschichte.«
»Ist er ein Mensch?«
»Er gehört weder zu den Älteren noch zur Nächsten Generation. Ja, er ist ein Mensch. Aber selbst die Hexe von Endor weiß nicht sehr viel über ihn. Sie ist ihm zum ersten Mal 1740 in London begegnet und wusste sofort, dass er ein unsterblicher Mensch ist. Er hat behauptet, er hätte das Geheimnis der Unsterblichkeit entdeckt, als er bei Nicholas Flamel in die Lehre ging.« Wieder schüttelte sie kurz den Kopf. »Aber ich glaube nicht, dass die Hexe ihm das abgenommen hat. Er hat ihr erzählt, dass er während seiner Reisen durch Tibet eine Rezeptur für einen Unsterblichkeitstrank entwickelt hätte, der nicht jeden Monat eingenommen werden muss. Als sie ihn allerdings um eine Abschrift bat, sagte er, er hätte die Aufzeichnungen verloren. Anscheinend hat er jede Sprache der Welt fließend gesprochen, war ein sehr begabter Musiker und stand in dem Ruf, Juwelen herstellen zu können.« Ihre Augen blitzten wieder silbern auf, als die Erinnerungen verblassten. »Und die Hexe hat ihn nicht gemocht und ihm nicht getraut.«
»Dann sollten wir ihm auch nicht trauen«, flüsterte Josh eindringlich.
Sophie nickte zustimmend. »Aber Nicholas mag ihn und traut ihm anscheinend auch«, gab sie zu bedenken. »Wie kommt das?«
Josh machte ein grimmiges Gesicht. »Ich habe es dir schon öfter gesagt: Meiner Meinung nach sollten wir auch Nicholas Flamel nicht trauen. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm – da bin ich mir ganz sicher.«
Sophie verkniff sich ihre Antwort und wandte den Blick ab.
Sie wusste, weshalb Josh nicht gut auf den Alchemysten zu sprechen war. Ihr Bruder beneidete sie um ihre erweckten Kräfte, und sie wusste, dass er es Flamel nicht verzeihen konnte, dass er sie in Gefahr gebracht hatte. Aber das alles bedeutete nicht, dass er nicht doch recht hatte.
Die schmale Seitenstraße mündete in eine breite, baumbestandene Allee. Obwohl es noch zu früh war für die morgendliche Rushhour, hatten das spektakuläre Feuerwerk und die Lightshow um den Eiffelturm herum den gesamten Verkehr in dieser Gegend zum Erliegen gebracht. Autos hupten und Polizeisirenen heulten. Ein Feuerwehrauto steckte im Stau; es hatte die Sirene eingeschaltet, obwohl kein Vorwärtskommen war. Saint-Germain überquerte die Straße, ohne nach rechts oder links zu schauen, und fischte ein
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