Nicholas Flamel Bd. 3 Die mächtige Zauberin
einen indianischen Schamanen …?
Seine völlige Erschöpfung, gepaart mit der Hitze und der Ruhe den ganzen Tag über, ließ den Alchemysten schläfrig werden. Er blinzelte, dann fielen ihm die Augen zu, und er schlief, sitzend an den Baumstamm gelehnt, ein.
Flamel träumte von Perenelle.
Es war der Tag ihrer Hochzeit, der 18. August 1350, und der Priester hatte sie soeben zu Mann und Frau erklärt. Der Alchemyst zitterte im Schlaf; es war ein alter Traum, ein Albtraum, der ihn jahrhundertelang jede Nacht heimgesucht hatte, und er wusste, was kam.
Nicholas und Perenelle drehten dem Altar den Rücken zu und stellten fest, dass die kleine Kirche voller Leute war. Als sie den Mittelgang hinunterschritten, sahen sie, dass es lauter Zwillinge waren – Kinder, Jugendliche, junge Männer und Frauen –, alle mit blondem Haar und blauen Augen. Sie sahen alle aus wie Sophie und Josh Newman. Und alle hatten denselben Gesichtsausdruck, der zweierlei zeigte: Entsetzen und Abscheu.
Flamel wachte mit einem Ruck auf. Er erwachte immer an derselben Stelle.
Eine Weile blieb er reglos sitzen, damit sein Herzschlag sich wieder beruhigen konnte. Erschrocken stellte er fest, dass es inzwischen Nacht geworden war. Die Luft strich kühl und trocken über seine schweißnasse Haut. Über ihm raschelten und wisperten die Blätter, der Geruch des Waldes hing schwer und süßlich in der Luft …
Halt! Das konnte nicht sein. Die Nacht hätte nach Bäumen und Gras duften sollen, doch woher kam der Geruch nach Urwald?
Links von ihm knackte ein Zweig, irgendwo rechts raschelte trockenes Laub, und Flamel wurde klar, dass irgendetwas auf die Scheune zuging.
K APITEL V IERUNDSECHZIG
D ie Zauberin ist in einer Zelle in Block D«, sagte die Krähengöttin. »Hier entlang.« Sie trat zurück und ließ Machiavelli und Billy the Kid vorgehen.
Dann drehte sie den Kopf und blickte über die Schulter hinauf zum Wachturm. Ein rotes und ein gelbes Auge leuchteten aus ihrem blassen Gesicht. Sie hob die Augenbrauen, schmal wie Bleistiftstriche, und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Die Krähengöttin setzte ihre Sonnenbrille auf, zog ihren schwarzen Federumhang enger um die Schultern und folgte den beiden Unsterblichen. Ihre Stiefelabsätze klackten auf dem feuchten Fels.
»Was war das denn?« , fragte de Ayala verwirrt.
»Gerade wurde eine Schuld beglichen«, antwortete Perenelle leise. Sie sah dem Wesen nach, bis es aus ihrem Blickfeld verschwand. »Ungefragt und unerwartet«, fügte sie mit einem Lächeln hinzu. Perenelle griff nach ihrem Speer, legte sich eine Decke um die Schultern und stieg die Metallleiter hinunter zum Pier. In der Luft lag noch eine Spur von Machiavellis Schlangengeruch und von dem Duft seines Begleiters – Chili. Diese beiden Gerüche würde sie nie mehr vergessen.
»Du solltest warten, bis sie unten in den Zellen sind, bevor du angreifst« , sagte de Ayala, während er neben ihr Gestalt annahm. Er trug jetzt die Uniform eines Leutnants der spanischen Marine. »Überrasche sie. Ist deine Aura stark genug?«
»Ich glaube, stärker kann sie gar nicht werden. Warum?«
»So stark, dass du die Decke auf sie herabstürzen lassen kannst?«
Perenelle stützte sich auf den Speer und blickte auf die von der salzigen Meerluft angegriffenen Gebäude. »Ja, doch, das könnte ich machen«, sagte sie zögernd. Die auflandige Brise wehte ihr Haarsträhnen ins Gesicht. Sie strich sie zurück und stellte dabei fest, dass mehr Silber als Schwarz darin war. »Meine Aura muss ich mir aufsparen, aber ich bin sicher, mir würde ein kleiner Zauber einfallen, der den Zement und die Metallstreben zerfressen würde …«
Der Geist rieb sich vergnügt die Hände. »Sämtliche Geister von Alcatraz werden dir natürlich behilflich sein, meine Liebe. Du brauchst uns nur zu sagen, was wir tun sollen.«
»Danke, Juan. Ihr habt mir schon genug geholfen.«
Perenelle folgte dem Trio. In ihren zerschrammten Schuhen bewegte sie sich lautlos. An einer Ecke blieb sie stehen und lugte um das Gebäude herum. Die Krähengöttin und die Unsterblichen waren verschwunden.
De Ayala schwebte heran. »Wie wäre es mit dem Eis, das du auch gegen die Sphinx eingesetzt hast? Das war wirklich hübsch. Könntest du den gesamten Korridor nicht mit einem Eisklotz blockieren?«
»Das könnte in diesem Fall etwas komplizierter werden«, meinte Perenelle. Sie drehte sich um und ging entschlossen an der Buchhandlung vorbei zurück zum Pier. »Aber ich kann etwas
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