Nicholas Flamel Bd. 4 Der unheimliche Geisterrufer
zum Leben erweckten Tonmenschen waren überall, bewegten sich und schlurften herum und drohten sie zu erdrücken.
Sie schleifte Prometheus tief in das Gebäude hinein. Draußen war es inzwischen dunkel geworden und unerkannt streunten Kreaturen durch die verlassenen Straßen. Man hörte Klauen klicken und Körper an Hauswänden entlangstreifen. Die Ältere nahm ihren ranzigen Geruch wahr: Sie stanken wie Krokodile.
Im Zentrum der Bibliothek entdeckte Zephaniah einen Raum mit ungewöhnlich hohen Türen. Diese waren zwar verschlossen, doch die gläserne Wand reichte nicht ganz bis zum Boden. Vor langer, langer Zeit hatte wohl ein Erdbeben die Stadt erschüttert. Ein Teil des Fußbodens hatte sich abgesenkt, die einzelnen Blöcke der Glaswand hatten sich verschoben und voneinander gelöst, sodass eine breite Lücke entstanden war.
Sie kroch hindurch und zog ihren Bruder in dem Moment in den geschützten Raum, als die Ungeheuer das Gebäude stürmten. Sie hörte sie fauchen und zuschnappen und hörte das Geräusch von zerspringendem Ton.
Im selben Augenblick, in dem sie sich aufrichtete, erhellte ein weiches, milchig schimmerndes Licht den Raum. Die Wände waren kahl, obwohl hier früher einmal unzählige Bücher gestanden haben mussten. Jetzt befand sich nichts mehr darin außer einem gläsernen Schädel, der in der Mitte des Raums auf einem glänzenden Metallpodest lag.
Zephaniah sah, wie Licht durch den Schädel zuckte und er anfing zu pulsieren, und ihr fiel auf, dass er im Rhythmus ihres Herzschlags leuchtete.
Und dann sprach er sie an …
Und seine Offenbarungen waren Furcht erregend.
Sophie wusste, worum es sich bei dem Schädel handelte, sie kannte seinen Ursprung und seine Kräfte.
Er war ein Ergebnis der Archon-Technologie, die wiederum auf noch älterem Wissen basierte. Die Hexe hatte jahrhundertelang nach genau solchen Artefakten gesucht, und wenn sie welche gefunden hatte, hatte sie sie restlos zerstört. Sie hatte jahrtausendealtes Wissen ausgelöscht, riesige Geheimbibliotheken mit Büchern verbrannt. Jene uralten Gegenstände und Artefakte, die aussahen wie Schwerter, Speere und Dolche, zu Schlacke geschmolzen. Sie hatte Kristallkugeln zerschmettert und sagenhafte Edelsteine zu Pulver zermahlen. Zephaniah hatte bei der Suche nach den Archonen-Schädeln ein Vermögen – mehrere Vermögen – durchgebracht. Die Schädel ließen sich nicht zerschmettern, Waffen und Werkzeuge konnten ihnen nichts anhaben, doch irgendwann war sie dahintergekommen, wie sie sie dennoch vernichten konnte: Indem sie sie in den Krater aktiver Vulkane warf, wo die flüssige Lava sie verschlang. Nachdem die Hexe alle magischen Objekte, die sie auf dieser Erde finden konnte, vernichtet hatte, war sie dazu übergegangen, die Geschichtenerzähler zu töten, die die Erinnerung an die Archone und Erdenfürsten wachhielten, die noch vor diesen die Erde bevölkert hatten.
Doch all das war später geschehen.
Nach dem Untergang von Danu Talis.
Nachdem sie festgestellt hatte, wie gefährlich die Schädel tatsächlich waren.
»Sophie?« Perenelle beugte sich vor, den Blick fest auf das Mädchen gerichtet. »Wir brauchen deine Aura. Lege deine Hand auf den Schädel.«
Sophie schüttelte den Kopf, eine winzige Bewegung nur, kaum zu erkennen.
Die Zauberin blinzelte überrascht. »Weißt du – oder besser: Weiß die Hexe etwas über diesen Kristallschädel?«
Sophie blickte der Zauberin in die Augen und schüttelte den Kopf, langsam, aber deutlich dieses Mal. Ihr Instinkt – oder war es das Wissen der Hexe? – veranlasste sie zu einer Lüge. »Nein.«
Sie hatte den Mund noch nicht wieder zugemacht, als die Glühbirne zersprang und es dunkel wurde in der Küche. Nur der Schädel leuchtete.
KAPITEL NEUNUNDVIERZIG
W ellen von flirrender Hitze gingen von der Scheibe aus, zuerst rot, dann weiß glühend. Jedes einzelne der eckigen Piktogramme pochte und pulsierte in Rot, Orange und Schwarz; sie bildeten Muster und unterschiedliche Formen. Die konzentrischen Kreise drehten sich nach rechts und links, der innere Kreis im, der nächste entgegen dem Uhrzeigersinn. Entsetzt stellte Josh fest, dass die eingeritzten Kreise Schlangen glichen, die ihren eigenen Schwanz verschluckten. Und er hasste Schlangen. Und dann veränderte sich das Gesicht in der Mitte der Scheibe.
Die Augen öffneten sich. Sie waren feuerrot und mit glitzernden, kohlschwarzen Pünktchen gesprenkelt. Der Mund bewegte sich und redete mit Prometheus’
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