Nicht die Bohne!
meinen Schrank in den Griff bekommen. Er hat die Seitenwände und Türen mit irgendeinem Wundermittel festgeklebt, woraufhin der Schrank zwar steht, die Türen sich aber nur noch sehr bedingt öffnen lassen. Was seine Zweckmäßigkeit schon erheblich einschränkt. Für den Moment ist mir das allerdings egal, und Harry meint nur zufrieden: »Hast doch einen Tischler als Mann. Der macht dir bald einen neuen.«
Eine weitere Stunde später hat sich das Chaos schon etwas gelichtet, und es gibt erneut eine Kuchenpause. Alina scheint für mehrere Wochen auf Vorrat gebacken zu haben. Meine Umzugshelfer hocken im Wohnzimmer auf Kisten und Kartons herum und stopfen sich ofenfrischen Bienenstich in die hungrigen Mäuler, als Simon und Olaf mit grimmigen Mienen die Bühne betreten. Sofort wird es still, und alle starren die beiden an, was Olaf zu einer komischen Grimasse veranlasst.
»Essen ist gut«, seufzt Simon theatralisch und schneidet damit Olaf das Wort ab, der gerade schon wieder zu einer bösen Bemerkung à la »Was glotzt ihr so?« ansetzen wollte. Ich erkenne das sofort an der steilen Falte zwischen seinen Augenbrauen. Die Gefahr-in-Verzug-Falte.
Okay, die beiden sind nach ihrem Gespräch unter Männern in einem Stück zurückgekommen. Sie haben keine offensichtlichen Blessuren davongetragen und scheinen auch weiterhin einen gesellschaftsfähigen Umgang miteinander zu pflegen, woraus ich schließe, dass dieses zukunftsorientierte Gespräch erfolgreich verlaufen ist. Oder zumindest gewaltfrei, was unter den aktuellen Umständen ja auch schon was ist.
Ich bin natürlich sehr neugierig, aber noch erschöpfter, und so bleibe ich einfach bewegungslos auf meinem Sofa sitzen. Das steht mittlerweile endlich im Wohnzimmer anstatt davor und macht sich mit seinem dunklen Grau vor der weißen Wand ausnehmend gut.
Abgesehen von meiner Erschöpfung plagt mich noch etwas anderes, was ich nicht richtig zuordnen kann. Mit meinem Bauch stimmt etwas nicht. Er wird in regelmäßigen Abständen hart wie ein Stein, und das fühlt sich sehr seltsam an. Nicht unbedingt schmerzhaft, mehr als ob jemand mir mit starken Armen fest um die Taille greift. Da sich ja mittlerweile ein großes Repertoire an seltsamen Instanzen in meinem Kopf eingenistet hat, übernimmt die leicht hysterische die Bewertung dieser Tatsache und zischt mir zu: »Das sind bestimmt Wehen. Ohgottohgottohgott!«
Vorerst ignoriere ich die Stimme. Wehen sollen ja wehtun, und mein Bauch tut nicht weh, aber ich bin trotzdem froh, als sich kurze Zeit später ein Großteil der Umzugshelfer verabschiedet.
Meine Eltern müssen noch zu einem Geburtstag, Jutta muss auf ihr Sofa, Tom muss zu Nummer dreiundsiebzig, Mara muss noch ein wenig Geld verdienen, und Olaf muss zu seiner neuen Flamme. Harry und Edgar müssen die Tiere versorgen, und Elena und Alina sind beide so müde, dass ihnen bereits um sechs die Augen zufallen. Umziehen ist anstrengend, das kann ich nur bestätigen, und so lasse ich mich von allen Seiten umarmen und behalte die komischen Aktivitäten meines Bauches für mich. Ich will ja niemanden beunruhigen.
Etwas verloren stehe ich dann in meinem neuen Zuhause und überlege, was ich als Nächstes tun soll. Theoretisch könnte ich sofort ins Bett gehen, das zum Glück auch schon aufgebaut ist. Aber mein Bauch vollführt immer noch diese seltsame Erstarrungsakrobatik, und so beschließe ich, Gertrude anzurufen.
Sie beruhigt mich erst mal. Vermutlich seien das Übungswehen, sagt sie. Nichtsdestotrotz ordert sie mich in die Klinik, weil sie eh gerade da ist. Ein Baby entbinden. Sie will sich das mal anschauen.
Jetzt habe ich ein wirklich flaues Gefühl im Bauch. Etwas unsicher laufe ich zu Simon, der in seiner Werkstatt rumkramt und nach irgendetwas sucht.
»Kannst du mich in die Klinik fahren?«, frage ich hastig, als ich ihn endlich hinter der großen Werkbank entdecke. Alarmiert kommt er auf die Füße.
»Mein Bauch ist hart, und Gertrude sagt, dass es vermutlich nicht schlimm ist. Aber sie will sich das anschauen«, erkläre ich, und kommentarlos greift er nach seinem Autoschlüssel. Wie immer notfalltauglich, der Mann.
Er fährt zügig und plaudert auf der gesamten Fahrt scheinbar ganz locker mit mir. Aber sein Gesicht ist angespannt, und als er den Wagen vor der Klinik parkt, sehe ich, dass seine Hände ganz leicht zittern. Mir ist auch nach Zittern zumute. Einfach weil ich von diesem Tag so erschöpft bin und ganz plötzlich schreckliche Angst habe, dass
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