Nicht gekauft hat er schon
dann hätte er gehört, dass die Rede war von »ganz schön teuer« – nicht »zu teuer«. Er hätte anhand der Einrichtung, der geschätzten Quadratmeter, unseres Auftretens, unserer Kleidung, des Autos vor dem Haus und so weiter sehen können, dass ein Staubsauger dieser Marke innerhalb unseres Spielfelds lag. Aber der Mann war so fixiert auf SEIN Verkaufsgespräch, dass er uns offenbar gar nicht wahrgenommen hatte. Guter Verkäufer? – Ich habe bis heute noch keinen grünen Staubsauger.
Chinesisch in Portugal
Stattdessen habe ich ein halbes Jahr später etwas Gelbes gekauft, das ich weder brauchte noch haben wollte. Etwas, das bei Weitem sein Geld nicht wert war und das ich auch noch potthässlich fand. Rate mal! Da kommst du nie drauf …
Und das kam so: Einmal im Jahr treffen sich die besten Marketingexperten Europas zu einer Versammlung des sogenannten »Club 55«. Damals fand das Treffen in Portugal statt. Am Abend saß ich mit mehreren meiner Kollegen und meinem Vater, den ich auf die Reise mitgenommen hatte, in Vilamoura in einem Restaurant am Hafen beim Abendessen. Alle Tische des Restaurants waren voll besetzt. Gerade hatten wir das Essen bestellt, als einer der unvermeidlichen fliegenden Händler an unseren Tisch kam. Das Angebot dieser Verkäufer ist an allen Touristenorten Europas das Gleiche: tanzende Plastikpuppen mit Batterie drin, blinkende Sonnenbrillen mit Batterie drin und Vuvuzelas, weil gerade Fußballweltmeisterschaft war.
Der Verkäufer fing bei mir an – aber ich wollte den Schrott nicht. Er merkte an meiner Antwort, dass wir deutsch sprachen, also stellte er sofort eine Gemeinsamkeit her: »Wo kommst du?« Auch er sei mal in Deutschland gewesen, in Aachen nämlich. Okay, er war im Gespräch. Gut gemacht. Jetzt legte er einen Köder aus. Er stellte meinem Tischnachbarn und Kollegen einen tanzenden Affen hin. Natürlich begannen wir schon zu schmunzeln: Der Verkaufsprofi lässt sich gerade von einem portugiesischen Straßenhändler chinesischen Ramsch andrehen. Wir grinsten genau bis zu dem Moment, als mein Kollege die Stirn runzelte und sagte: »Wisst ihr was? Das wäre doch ein lustiges Mitbringsel für die Kinder.«
Der Verkaufsprofi – und diesmal meine ich den Straßenhändler – stieg sofort darauf ein und stellte eine persönliche Bindung her: »Kinder? Wie alt Kinder? Wie heißen?«
Um es kurz zu machen: Mein Kollege kaufte. Der Verkäufer hatte sein Ziel erreicht. Er hatte etwas verkauft. Aber er war ein richtig guter Verkäufer. Er sah die Chance, mehr daraus zu machen. Etwas für die Kinder zu kaufen, entwickelte er als Motiv zum Gruppendruck weiter. Ruckzuck hatte er heraus, wer noch Kinder hatte. Ich wollte eigentlich immer noch nichts kaufen, sondern weiter die Situation beobachten, aber dann fiel mir mein Vater in den Rücken: »Martin, du hast doch auch noch nichts für Chris …«
Chris? Sofort griff der Top-Verkäufer den Namen auf. Ich hatte keine Chance.
Und so wahr ich hier sitze und schreibe: Am Ende hatte tatsächlich jeder einzelne am Tisch etwas gekauft, bevor das Essen kam. Und das nur, weil sich der Verkäufer dafür interessierte, was wir EIGENTLICH wollen. Wollten wir chinesischen Plastikschrott kaufen? Sicher nicht. Wollten wir ein Kinderlachen bei der Heimkehr? Aber klar doch!
Ach, ja: Es war eine gelbe Plastiksonnenbrille mit blinkenden Lichtern obendrauf. Sieben Euro.
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Kopfarbeit: Denken vor dem Erstgespräch
Vor Ihnen steht ein Glas. Es ist zur Hälfte gefüllt. Was denken Sie? Ist es halb voll oder ist es halb leer? Klar, Sie sagen halb voll. Brav! Immer positiv denken … Aber pfui Teufel, das halb volle Glas enthält Kontrastmittel, weil Sie gerade im Krankenhaus sind und eine Darmspiegelung vor sich haben! Das Zeug schmeckt so, als sollten Sie damit besser den Gartenzaun anstreichen als trinken.
Na, ist das Glas für Sie immer noch halb voll? – Es ist hoffentlich bald ganz leer, damit Sie es hinter sich haben! Vergiss diesen Schmalspurpsychologie-Blödsinn! Von wegen positiv denken … es kommt immer auf den Inhalt an, auf die Bedeutung, auf den Kontext. Hermann Hesse hat das in seiner chinesischen Parabel wunderschön ausgedrückt: Das war die Geschichte, in der einem Mann ein Pferd davonlief, das ein paar Tage später mit einer ganzen Herde Wildpferde zurückkam. Wegen der vielen Pferde lernte der Sohn des Mannes reiten, fiel eines Tages vom Pferd und brach sich ein Bein, was verhinderte, dass er für die Armee
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