Nicht mehr tun, was andere wollen
trieb. Brad streitet die Anschuldigungen ab, doch die Polizei gibt nicht nach. In unablässigen Verhören setzt sie ihn unter Druck und fragt ihn, wie er etwas so Dummes tun konnte, seine Freundin allein im Park zurückzulassen. Angesichts des Mordes sind Brads Schuldgefühle zu diesem Zeitpunkt überwältigend, und er ist anscheinend zu allem bereit, um sich davon zu befreien.
Dann führt die Polizei falsche Beweise ins Feld: Sie behauptet, seine Fingerabdrücke auf der Mordwaffe gefunden zu haben (die überhaupt nicht vorlag ). Brad ist völlig verwirrt, er hat ja auch keinerlei Gründe, der Polizei zu misstrauen. Schließlich erklären sie ihm, es würde vielleicht helfen, wenn er sein Gewissen erleichtern würde. Er soll die Augen schließen und sich vorstellen, wie es ausgesehen hätte, wenn er Bibi wirklich getötet hätte. Brad gehorcht und denkt sich ein Szenario aus– was die Polizei als echtes Geständnis zu deuten beschließt. Brad regt sich natürlich furchtbar darüber auf und nimmt seine Worte sofort zurück. Doch die Polizei bleibt dabei, dass es sich um ein vor Gericht verwendbares Geständnis handelt. Beim Prozess weiß die Jury nicht, was sie sich für einen Reim darauf machen soll. Brad Page wird ins Gefängnis geschickt, wo er seine volle Strafe absitzt, trotz mehrfacher Versuche der Medien und Anwälte, den Fall wieder aufzurollen. Niemand kann mit Sicherheit sagen, dass Brad Bibi nicht ermordet hat. Aber wie Anthony Pratkanis betont: Brads Geständnis, das zu einer Gefängnisstrafe wegen Mordes führte, war nicht gültig. Es war das Resultat eines verzweifelten Versuchs, die mentale Inkonsequenz (Dissonanz) aufzulösen, die Brad erlebte und die von den Vernehmungsleitern in Oakland von Anfang bis Ende manipuliert worden war. Der einzige Ausweg bestand darin, nachzugeben und kurz so zu tun, als hätte er wirklich » auf die ALT-Taste gedrückt«. Mehr brauchte es nicht, um ihn zu verurteilen.
Da die meisten von uns bereit sind, sich für alles Mögliche schuldig zu fühlen, lässt sich dieses Gefühl ganz prima wecken und ausnutzen. Vielfach wissen wir nicht mal, warum wir uns schuldig fühlen, weil die eigentliche Ursache unserem Bewusstsein oft verborgen bleibt. Daher kann man Schuldgefühle auf alle möglichen Arten manipulieren.
Ein gutes Beispiel dafür sind sämtliche Tabus rund um die Sexualität. Schon als Kinder lernen wir, sexuelle Schuld zu empfinden, bevor wir überhaupt wissen, was das ist. Das haben wir unserer Umwelt und unseren Eltern zu verdanken, die, ohne nachzudenken, ihre eigenen Schuldgefühle auf uns übertragen, wie sie sie auch einmal eingetrichtert bekamen: » Hör auf damit.«, » Weißt du nicht, wie man eine Hose richtig anzieht?«, » Wenn du so was machst, kannst du gleich auf dein Zimmer gehen.«, » Wirst du das wohl sein lassen!« Für einen Dreijährigen besteht zwischen seinen Körperteilen kein allzu großer Unterschied, und sich selbst oder jemand anders am Pimmel zu ziehen, ist doch superlustig– bis Mama oder Papa knallrot werden und » Sowastutmannicht« sagen. Noch ein paar Jahre, und das Kind begreift, dass die verschiedenen Körperteile mit verschiedenen symbolischen Werten belegt sind, aber jetzt hat er schon gelernt, dass ein bestimmter Körperteil ein bisschen problematisch ist oder sogar hässlich, etwas, wofür man sich schämen müsste. Dieses Schuldgefühl wurzelt so tief in unserer Psyche, dass sich supereffektiv darauf zurückgreifen lässt, wenn ich einen Erwachsenen beeinflussen will. Ich spiele einfach auf seine sexuelle Unzulänglichkeit an, auf sündhafte Lust oder von mir aus Homophobie. Da das Schuldgefühl so fest verwurzelt ist, werden Sie es nicht immer gleich erkennen, Sie spüren bloß, dass bestimmte Situationen Ihnen ein mehr oder weniger ungutes Gefühl vermitteln, das Sie lieber nicht hätten. Und genau das ist mein Plan.
Heute leben wir in einer Gesellschaft, die immer höhere Forderungen an uns stellt. Wenn ich an einem Sonntagabend meine Freunde anrufe und sie frage, was sie gerade machen, antworten die meisten, dass sie gerade am Computer sitzen und schon mal ihre Mails checken, damit sie am Montagmorgen nicht gleich so einen vollen Schreibtisch im Büro vorfinden. Gleichzeitig setzt man voraus, dass wir Zeit haben, Familien zu gründen– oder uns zumindest zu vermehren–, denn sonst würde die Menschheit ja aussterben, und dann wäre auch das ganze Mailchecken für die Katz. Summa summarum: Gestresste Eltern kleiner
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