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Nicht mehr tun, was andere wollen

Nicht mehr tun, was andere wollen

Titel: Nicht mehr tun, was andere wollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henrik Fexeus
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wenn Sie Buße getan haben (indem Sie z. B. beim Kindergartengroßputz mitgeholfen haben ), tun Sie das doch, weil Sie hoffen, dass Ihnen dann auch vergeben wird, oder? Sehnen wir uns nicht danach, dass uns vergeben wird, wenn wir einen Fehler begangen haben? Ja und nein.
    In einem Experiment der Psychologen Brad Kelln und John Ellard redete man ein paar Studenten ein, sie hätten die Ausrüstung kaputtgemacht, die einer der Wissenschaftler für seine Arbeit brauchte. Wie erwartet waren die Studenten schnell bereit, dem Wissenschaftler in einem anderen Zusammenhang zu helfen. Einigen sagte man auch, dass es nicht weiter schlimm sei. » Das macht nichts, ist schon okay.« Man vergab ihnen ganz einfach. Wenn wir jemandem vergeben, sagen wir oft, » wir ziehen einen Strich unter die Sache«. Wer einen Fehler gemacht hat, wird von seiner Schuld befreit, und wer uns vergibt, der ist unser Freund. Der Gedanke ist ja ganz schön. Doch Kelln und Ellard entdeckten, dass das nicht so funktioniert.
    Im Gegenteil. Die gewährte Vergebung wirkte wie ein doppelter Knockout: Erst hatten die Studenten Schuldgefühle, weil sie die Ausrüstung zerstört hatten, und dann bekamen sie keine Gelegenheit zur Wiedergutmachung, vielmehr wurde ihnen sofort verziehen. Die einzige Art, wie sie zeigen konnten, dass sie » gute« Menschen waren, bestand darin, der Bitte des Wissenschaftlers um weitere Hilfe nachzugeben. Doch da man ihnen bereits verziehen hatte, war diese Bitte keine direkte Folge ihrer Verfehlung mehr. Daher mussten sie viel mehr ackern, um einen Effekt zu erzielen, um ihre Schuldgefühle zu beseitigen. Tatsächlich arbeiteten die Studenten, denen man sofort vergeben hatte, doppelt so viel wie die anderen. Und sie fanden den Wissenschaftler, der ihnen verziehen hatte, auch noch wesentlich unsympathischer! Menschen, in deren Schuld wir stehen, mögen wir offenbar nicht. Indem man den Studenten einfach vergab, wurden sie von ihren Schuldgefühlen befreit– jedenfalls glauben wir das, wenn wir jemandem vergeben, das ist ja der Sinn der Sache. Doch alles, was man ihnen wirklich wegnahm, war die Möglichkeit, ihre Fehler wiedergutzumachen.
    Wenn ich möchte, dass Sie mir auch in Zukunft für Gefälligkeiten zur Verfügung stehen, werde ich es nicht so machen wie die katholische Kirche, die grundsätzlich alle Sünden in der Beichte verzeiht. Stattdessen werde ich zusehen, dass Sie sich an allen möglichen Dingen schuldig fühlen und dann langsam Ihre Schuldgefühle abarbeiten, indem Sie tun, worum ich Sie bitte. Ich hab da eine ganze Liste von Sachen, die schon lange mal jemand erledigen müsste.
    Wie Sie vielleicht merken, schafft Schuld eine kognitive Dissonanz, die wir auflösen müssen. Tatsächlich gibt es neben den auf S. 236 genannten drei Möglichkeiten noch einen vierten Weg, das zu tun. Man kann auf denjenigen losgehen, dem gegenüber man Schuldgefühle empfindet. Wenn wir böse zu jemand gewesen sind, können wir uns im Nachhinein rechtfertigen, indem wir dem Opfer die Schuld geben: » Die hatte es echt nicht anders verdient. Die ist gemein oder blöd oder rothaarig und verdient es nicht anders, als dass wir gemein zu ihr sind.« Durch so eine Veränderung unserer Einstellung können wir uns selbst unser Verhalten erklären. Wir begründen unsere Taten, indem wir das Opfer zum Sündenbock machen. Ein kluger Meinungsmacher sorgt natürlich dafür, dass diese nachträgliche Umbewertung mit seinen eigenen Zielen zusammenfällt.
    Wenn ich eine Gruppe Menschen dazu bringen kann, sich so richtig mies gegenüber einer anderen Gruppe Menschen zu verhalten (und sie obendrein mit diesen Taten sichtbar in Verbindung bringe, indem ich ihr Handeln z. B. öffentlich mache oder dokumentiere, so dass keiner leugnen kann, was er gemacht hat ), kann ich diese Gruppe auch mit Leichtigkeit davon überzeugen, dass es in Wirklichkeit die Schuld der anderen war. Denn dann wird es gleich viel einfacher. Wenn die anderen es sowieso verdient hatten. Die Juden. Die Sozis. Die Dortmund-Fans.
    Und je mehr ich meine Gruppe anheizen kann, je tiefer ich sie in die Falle locke, desto mehr müssen sie sich selbst einreden, dass die anderen Schweine sind– um ihre eigene Dissonanz aufzulösen. Fanatismus zu wecken, ist also ziemlich einfach. Ich meine, wie könnten Sie sich sonst überreden lassen, ein Flugzeug direkt in einen Wolkenkratzer zu steuern? Hat man Sie übertölpelt? Nein, der einzig plausible Grund, warum Sie sich auf so was Irrsinniges

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