Nicht mehr tun, was andere wollen
könne sich dieser Behauptung so nicht unbedingt anschließen. Im Gegenteil, gerade wenn die Zeiten etwas ruhiger seien, habe man doch die Muße, sich mit den neuesten Trends zu befassen. Michaela bittet Jean-Pierre um weitere Erklärungen, so dass er seine Einstellung in diesem Punkt auch innerlich für sich selbst festigt.
Dann geht sie weiter zum nächsten Punkt, dem sie ebenfalls nicht zustimmt: » Manche mögen ja das Gegenteil behaupten, aber ich habe den Eindruck, dass es besser ist, wenn man in Zeiten wie diesen das Angebot nicht zu sehr erweitert.« Wieder muss Jean-Pierre ihr widersprechen: » Oh nein, Abwechslung ist das Einzige, was die Absätze momentan ein wenig ankurbeln könnte.« Worauf Michaela antwortet: » Vielleicht haben Sie recht, Jean-Pierre, aber im Moment ist doch sowieso keine Kaufsaison.« Das heißt, sie widerspricht Punkt3 auf der Liste. Woraufhin Jean-Pierre, wie vorauszusehen, ihr antwortet, dass im Moment sehr wohl Saison sei. Bei jeder Behauptung läuft es so, dass Michaela ihm am Ende zustimmt und damit den Eindruck verstärkt, dass sie zu Anfang nicht der gleichen Meinung waren.
Dann fährt sie fort, indem sie den Behauptungen widerspricht, die Jean-Pierre nicht aus vollem Herzen ablehnt, wie Nummer4 auf der Liste: » Na ja, vielleicht ist tatsächlich gerade Saison. Doch der Markt würde eine Preiserhöhung im Moment nicht zulassen.« Jetzt passiert etwas. Michaela und Jean-Pierre haben mittlerweile ein Gesprächsmuster eingeschliffen, bei dem Michaela eine Aussage trifft und Jean-Pierre ihr widerspricht, bis sie ihm am Ende zustimmt. Sie hat also eine Struktur geschaffen, bei der Jean-Pierre die Worte » Doch, so ist es schon!« entlockt werden– sie tut einfach so, als wollte sie ihn von bestimmten Meinungen überzeugen, weckt dabei ein Gefühl von Freiheitsbeschneidung und Dissonanz bei ihm, und schon widerspricht er ihr. So funktioniert das.
Wenn ich möchte, dass bei uns zu Hause mal wieder ein bisschen Ordnung gemacht wird, verbiete ich den Kindern, ihre Zimmer aufzuräumen. Ich kontrolliere tatsächlich, ob die Schlingel nicht am Ende heimlich Ordnung schaffen! Zwar verwandelt sich das Ganze irgendwann auch in eine Art Spiel, aber der Grund, warum die Kinder mitspielen wollen, ist genau derselbe, der Jean-Pierre ganz automatisch widersprechen lässt, wenn er sich seiner Meinungsfreiheit beraubt sieht.
Wenn wir zu Punkt4 auf der Liste kommen, ist die Sache schon prächtig am Laufen, vorausgesetzt, dass diese nächste Meinung beim anderen wirklich schwach ausgeprägt ist. Jean-Pierre widerspricht und argumentiert, dass der Markt eine Preiserhöhung durchaus hergeben würde, und Michaela hilft ihm, diese Ansicht zu festigen, indem sie ihm noch ein paar zusätzliche Argumente liefert. Nächster Schritt: » Aber selbst wenn Sie die Preise erhöhen könnten, wahrscheinlich würden Sie nicht viel verkaufen– letztes Jahr liefen die Geschäfte ja auch schon nicht besonders gut.« Jean-Pierre tappt wieder in die Falle mit der Freiheitsberaubung und der eingeübten Widerspruchsstruktur und legt Einspruch ein. Schließlich kommt Michaela zum letzten Punkt, gegen den Jean-Pierre von Anfang an am meisten war: » Ja, ja. Aber auch wenn die letztjährige Kollektion sich gut verkauft hat, wie Sie sagen, müssen Sie sich jetzt ja nicht mit neuer Ware eindecken, um gute Geschäfte zu machen.«
Wenn ich wüsste, wie man das Geräusch beschreiben soll, mit dem eine Falle zuschnappt, würde ich das an dieser Stelle in meterhohen Buchstaben bringen. Bamm! Jean-Pierre steht schon in den Startlöchern, Michaela zu widersprechen. Er hat tatsächlich keine andere Wahl, wenn er sich nicht psychologisch selbst Gewalt antun will, und als er seinem Drang gehorcht, tut er nichts anderes als genau das, was Michaela die ganze Zeit von ihm hören wollte, nämlich, dass er sich sehr wohl jetzt mit Ware eindecken sollte. Jean-Pierres ursprünglicher Spielraum wurde schrittweise ausgeweitet, bis er jetzt plötzlich einer Meinung zustimmt, der er sich vorher überhaupt nicht anschließen konnte.
Wie Sie sehen, ist die Methode tödlich einfach:
Ich behaupte, dass ich bestimmte Meinungen, von denen ich weiß, dass Sie sie vertreten, nicht teile. So bringe ich Sie dazu, mir zu widersprechen und zu versuchen, mich zu » bekehren«. Dabei fange ich mit Meinungen an, von denen ich weiß, dass Sie bei Ihnen sehr ausgeprägt sind, und bewege mich dann schrittweise weiter zu solchen, mit denen Sie immer noch
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