Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Titel: Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meral Al-Mer
Vom Netzwerk:
beruhigten ihn in der Regel. Ich konnte fast ihre Gedanken lesen, die ungefähr so lauten mussten: »Mann, ich hab keinen Bock auf diesen Scheiß. Aber wenn die Kleine dadurch weiter am Start bleiben kann, dann spiel ich halt mit.«
    Sie bürgten für mich, beruhigten ihren ältesten Bruder, und oft war es damit getan. An einem anderen Abend aber bestellte mein Vater meine Onkels ein, damit sie mich bespuckten, einer nach dem anderen. Und sie taten es, bis auf einen. Der brach in Tränen aus und weigerte sich. »Ich will das nicht. Ich kann das nicht«, schluchzte er. Mir liefen der Rotz und die Spucke von all meinen anderen Onkeln und von meinem Vater übers Gesicht.
    »Stell dich vor den Spiegel, du verrottetes Stück Scheiße, und sieh dich an!«, schrie mein Vater.
    Und ich stellte mich vor den Spiegel.
    »Sieh dich an! Sieh dich ganz genau an, du Strafe Gottes. Du von Gott gefickte Hure. Du Schwein. Du Dreckschwein. Schau, was aus dir geworden ist!«
    Und ich gehorchte, stand vor dem Spiegel und betrachtete mich. Ich roch den fremden Rotz und den eigenen, fühlte, wie alles zu einer klebrigen Kruste auf meinem Gesicht trocknete. Ich wich nicht aus, ich sah mich an, war mir der Demütigung bewusst, ohne etwas dabei zu fühlen. Die Gefühle kamen erst viel, viel später.
    Oft feierte mein Vater diese Bestrafungsorgien, als seien sie die Performance eines Künstlers. Es schien meinem Vater eine riesige Freude zu bereiten, sich für uns jedes Mal eine andere originelle Bestrafung auszudenken, wenn wir sie seiner Meinung nach verdient hatten. Er entwickelte darin eine gewisse Kreativität und schien das zu genießen. Manchmal zog er, während wir warteten, in aller Ruhe noch eine »Line« Kokain, legte eine Schallplatte auf und drehte die Musik laut, ging im Zimmer auf und ab, um die möglichst perfekte Strafprozedur zu entwickeln. Manchmal schob er Möbelstücke beiseite, stellte die Einrichtung um, damit er mehr Platz zum Ausholen hatte. Die Zeitspanne zwischen der Ankündigung einer Bestrafung und ihrer Durchführung dehnte sich für uns dann ins Unermessliche. Ebenso wuchs die Angst, denn nie konnte man wissen, was er dieses Mal vorhatte. Nur eines schien sicher: Es wurde von Mal zu Mal schlimmer.

9
Die Nebenfrau
    E s war nach einem wunderschönen Pfingstwochenende im Jahr 1994, das Elke, meine Geschwister und ich mit Ma und Pa in Holland verbracht hatten: Fahrradfahren am Meer, einen Ausflug zu einem Erlebnispark, abends machte Manfred ein Feuer im Kamin – entspannte Stunden, die wir alle sehr genossen.
    Als wir am Sonntagnachmittag nach Hause kamen, öffnete unser Vater die Tür. Und sofort sah ich ihm an, dass irgendetwas passiert war. Alles an seiner Haltung, seiner Miene, drückte diese gewisse Mischung aus schlechtem Gewissen und Nervosität aus, die er immer dann an den Tag legte, wenn er etwas mit einer anderen Frau am Laufen hatte. Wie ein Kind, das gestohlen hat – gelinde ausgedrückt.
    Auch seine gespielte gute Laune bei der Begrüßung stimmte mich misstrauisch, und auf der Terrasse fand ich dann auch den Grund für das verräterische Verhalten meines Vaters: Eine wunderschöne, sehr junge Frau hing ganz bleich und zusammengekrümmt auf einem Gartenstuhl.
    »Wir haben Besuch«, rief mein Vater. »Kommt, sagt alle Guten Tag zu Leyla aus Marokko!«
    Ich musterte Leyla. Sie wich meinem Blick aus. Sie war wirklich sehr hübsch, hatte Haare, die ihr bis zum Po reichten, große braune Rehaugen und einen makellosen Teint. Jetzt allerdings war sie leichenblass.
    »Geht es dir nicht gut?«, fragte ich. »Möchtest du etwas trinken?«
    Sie nickte nur.
    »Ihr ist ein bisschen schlecht«, sagte mein Vater leichthin. »Bald geht es ihr wieder besser.«
    Ich brachte Leyla einen Orangensaft, sah mich genauer in der Wohnung um und inspizierte auch meinen Vater. Er trug zu seiner Hose nur ein weißes Unterhemd, und ich entdeckte blutige Katzer auf seinen Oberarmen und dem Rücken. Während uns die beiden die Story erzählten, die sie sich zurechtgelegt hatten, ging mein Vater nervös auf der Terrasse auf und ab und warf Leyla immer wieder Blicke zu, damit sie auch ja nichts Falsches sagte.
    Die beiden hatten sich beim Busfahren kennengelernt. Seit mein Vater Busfahrer war, lernte er alle möglichen Leute kennen, vor allem Frauen. Leyla erzählte stockend, dass sie als Au-Pair-Mädchen bei einer deutsch-marokkanischen Familie in Düsseldorf lebte, sich dort aber nicht wohlfühlte.
    »Kann sie nicht bei uns

Weitere Kostenlose Bücher