Nicht ohne meine Schokolade
Mr. Winston in seinem Büro eingenickt ist — das tat er schon mal — und vergessen hatte, die Lichter draußen einzuschalten und die Türen abzuschließen.«
»Schlief er häufig im Büro ?«
Hank senkte die Stimme und lehnte sich näher zu ihr hinüber, ein verschwörerisches Leuchten in seinen blaßblauen Augen. »Bewußtlos, denk’ ich, ist die bessere Erklärung«, sagte er. »Mr. W. liebte es, von Zeit zu Zeit einen Schluck von diesem teuren Scotch zu trinken .«
»Oh, Hank«, unterbrach Mrs. Downing, »wenn du’s ihr schon erzählst, dann erzähl ihr die Wahrheit. »Der war doch die Hälfte der Zeit angeschickert, und die andere Hälfte war er voller als ‘ne Haubitze .«
Savannah warf Hank einen fragenden Blick zu, und er nickte erschöpft. »Ich finde nur, daß es einfach nicht richtig ist, schlecht von den Toten zu reden und so .«
»Ich verstehe. Aber ich muß alles über Mr. Winstons Leben wissen, was Sie mir sagen können, damit ich herausfinden kann, warum er sterben mußte. Das ist alles, was wir noch für ihn tun können .« Sie wartete, bis der schuldbewußte Gesichtsausdruck aus Hanks Gesicht gewichen war und er ihre Worte begriff. Dann fuhr sie fort: »Also, erzählen Sie mir... was geschah dann ?«
»Ich begann, sauber zu machen wie jeden Morgen. Ich saugte den Laden, den Flur und wischte Staub .«
Savannah stöhnte innerlich. Kein Wunder, daß der Laden so jungfräulich sauber gewesen war. Unabsichtlich hatte er vielleicht jeglichen Beweis, den der Eindringling hinterlassen hatte, weggesaugt oder abgewischt. Sie machte sich eine Notiz, die Spurensicherung daraufhinzuweisen, daß sie dem Inhalt des Staubsaugerbeutels besondere Aufmerksamkeit schenkte.
»Wie lange, glauben Sie, haben Sie mit der Säuberung des vorderen Gebäudeteils zugebracht ?« fragte sie. »Das heißt, bevor sie Mr. Winstons Leiche entdeckten ?«
Er überlegte; sie konnte sehen, daß er so genau wie möglich sein wollte, das Kennzeichen eines ehrlichen Zeugen.
»Wahrscheinlich so um die zwanzig Minuten.«
»Okay, jetzt versuchen Sie sich bitte genau zu erinnern, Mr. Downing. Während Sie saubermachten, haben Sie da irgendein Anzeichen dafür bemerkt, daß jemand seit der letzten Säuberungsaktion dort gewesen ist? Fingerspuren, Schmutzflecken, Spuren auf dem Teppich, irgend etwas ?«
Plötzlich verstand er und sah gequält aus. »Ah, oh, ich glaube, das hab’ ich vermasselt. Ich hätte nicht alles so gut reinigen sollen, hmm ?«
»Schon gut, Mr. Downing. Das wußten Sie ja nicht .« Sie schenkte ihm ein, wie sie hoffte, nicht allzu bitteres, versöhnliches Lächeln. »Können Sie sich an irgend etwas erinnern, das anders war als sonst ?«
»Eigentlich nicht, aber, nun ja, ich hab’ ja auch nach nichts Besonderem Ausschau gehalten .«
Der alte Mann zuckte die Achseln, und Savannah bemerkte erneut, wie gebrechlich er war. Wie konnte er mit einem Herzleiden und kaum Fleisch auf den Knochen die Pflichten eines Hausmeisters erfüllen?
Dann dachte sie nach. Das hier war wohl kaum das Haus eines reichen Mannes oder auch nur eines Mannes, der Pläne für einen geruhsamen Lebensabend machen konnte. Er arbeitete... und zwar nicht zur persönlichen Erfüllung, sondern um zu überleben. Wie Oma zu sagen pflegte: »Ein Körper kann fast alles schaffen... wenn er muß .«
»Ich kann mich an nichts Ungewöhnliches erinnern... bis...« Er schluckte, und sein Gesicht wurde noch eine Spur grauer. »Ich klopfte an Mr. Winstons Tür, und als er nicht antwortete, öffnete ich sie einen Spalt, um hineinzuspähen. In diesem Augenblick sah ich seinen Fuß hinter dem Schreibtisch hervorschauen... und das Blut... all das Blut und das ganze Zeug an der Wand .«
Savannah wartete geduldig, bis er sich wieder gefangen hatte. Es überraschte sie nicht, daß dieser gräßliche Anblick ihn so sehr mitgenommen hatte. Sie nahm nicht an, daß er besonderen Wert darauf legte, in den nächsten paar Wochen ein Gericht mit Tomatensauce zu essen.
Mrs. Downing ging zu ihrem Mann und legte ihre großen, fleischigen Hände auf seine Schultern. Savannah sah zu ihr hinauf und beobachtete, wie die harten Züge ihres Gesichts weicher wurden, als sie sein Haar streichelte.
»Ich wollte nicht um diesen Schreibtisch herumgehen«, fuhr er mit erstickter Stimme fort. »Aber ich wußte, daß ich es tun mußte, falls ich ihm noch hätte helfen können. Aber in dem Augenblick, als ich ihn so zerfetzt daliegen sah, wußte ich, daß es nichts gab, was ich
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