Nicht schießen, Johnny!
einem geladenen Revolver bewaffnet. Beim Gedanken daran fiel es Virgil schwer, sich zu beherrschen. Er sah Mike McGuire vor sich, der, wenn ihn die Wut packte, rücksichtslos andere Wagen von der Fahrbahn abdrängte, der sich in seiner Beschränktheit für ein höheres Wesen hielt und einen Revolver in seiner Wohnung aufbewahrte, um seine Eitelkeit zu hätscheln und seine Komplexe abzureagieren.
In ohnmächtigem Zorn biß Tibbs die Zähne zusammen und verfluchte den Tag, an dem er Polizist statt irgend etwas anderes geworden war. Dann wären ihm solche Dinge erspart geblieben. Aber passiert wären sie dennoch, auch wenn er sich nicht mit ihnen hätte befassen müssen. Man konnte die Augen nicht einfach vor ihnen verschließen.
Im Empfangsschalter läutete das Telefon. Die Schwester griff nach dem Hörer, lauschte und winkte Tibbs. Er ging schnell zu ihr hinüber. »Tut mir leid, Mr. Tibbs«, sagte die Schwester, »es war alles umsonst. Der Junge ist vor drei Minuten auf dem Operationstisch gestorben.«
7. Kapitel
Tibbs wurde von einem Gefühl tiefster Niedergeschlagenheit überwältigt; das ganze Leben erschien ihm sinnlos.
Irgendwo in diesem Krankenhaus lag ein vielversprechender junger Mensch, dem er nie begegnet war, tot, hatte sein Leben lassen müssen, bevor es richtig begonnen hatte. Irgendwo in der Stadt warteten seine Eltern, mittlerweile sehr besorgte Eltern, und jemand, vielleicht Tibbs selbst, würde ihnen die Hiobsbotschaft überbringen müssen. Irgendwo anders irrte ein verzweifelter kleiner Junge umher, der in seiner Verzweiflung noch mehr Unheil anrichten konnte.
Virgil sagte sich, daß er noch mal mit den McGuires reden und danach, irgendwo, irgendwie, ihren Sohn ausfindig machen und ihm den Revolver abnehmen mußte. Er war sich klar darüber, welche Angst der Junge ausgestanden hatte, und daß der tödliche Schuß nur ein Zufallstreffer war, aber damit war das Problem nicht gelöst. Die Tatsache, daß auch er eine dunkle Haut hatte, würde es vermutlich sogar komplizieren. Falls er Johnny McGuire aufstöberte, würde der Junge schwerlich Vertrauen zu ihm fassen; er würde Tibbs höchstwahrscheinlich für einen Verwandten oder älteren Bruder des Jungen halten, auf den er geschossen hatte.
Tibbs schritt den Korridor hinunter bis dahin, wo der halbwüchsige Schlaks noch immer wartete. »Ich habe eben einen Bericht bekommen«, sagte er.
»Ist er tot?« fragte der andere.
Tibbs nickte. »Die Ärzte haben ihr möglichstes getan. Er hat nichts gespürt. Er starb bei der Operation - in der Narkose.«
Schweigen.
»Wenn ich den Rotzer erwische, mach ich ihn kalt«, sagte Sport - nicht zu Tibbs, sondern zur Welt im allgemeinen.
»Nein, das ist Sache der Polizei. Wir werden ihn ausfindig machen, entwaffnen und festnehmen.«
»Ich mach ihn kalt«, wiederholte Dempsey.
»Das wirst du nicht. Er ist nicht der Schuldige.«
»Wer sonst?« fragte Dempsey mit Augen, die Tibbs versengten.
»Eine ganze Menge Leute. Sein Vater, weil er einen geladenen Revolver an einer dem Jungen zugänglichen Stelle aufbewahrte. Irgendein Lobbyist in Washington, weil er gegen die Kontrolle von Schußwaffen kämpfte. Irgendwelche Abgeordnete, weil sie dem Lobbyisten verpflichtet waren und daher einen entsprechenden Gesetzesentwurf torpedierten.«
»Werden Sie’s seiner Familie sagen?« fragte Sport. »Ich bin nicht scharf drauf.«
Tibbs blickte auf seine Hände hinab, um zu sehen, ob sie zitterten. Er hatte einen anstrengenden Tag hinter sich gehabt, bevor er diesen nervenaufreibenden Job übernommen hatte, und so war er jetzt mit seinen Kräften ziemlich am Ende. »Ich werde es wohl tun müssen«, sagte er müde.
Beim Geräusch von Schritten blickte er auf; ein junger Mann mit dem Halskragen des Geistlichen kam den Korridor herauf. »Mr. Tibbs, ich bin Pastor Phillips«, sagte er und drückte Virgil die Hand. »Ich habe gehört, was geschehen ist. Kann ich irgendwie helfen?«
Tibbs stellte Dempsey vor und gab einen zusammengedrängten Überblick über die Ereignisse des Abends.
»Sind die Eltern schon benachrichtigt?« fragte der Geistliche.
Tibbs schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, das muß ich noch übernehmen.«
»Nein, überlassen Sie es mir.« Er wandte sich Dempsey zu. »Wir wollen zusammen hingehen, da du weißt, wo sie wohnen, und sie kennst. Vielleicht kann ich die bedauernswerten Eltern ein wenig trösten.«
»Danke, Pastor, wenn Sie das wirklich übernehmen wollen, tun Sie mir damit einen großen
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