Nicht tot genug 14
Durchbruch unmittelbar bevorstand, und spielte die Stimme eines gewissen Detective Superintendent Roy Grace ein, die bei einer Pressekonferenz aufgezeichnet worden war.
»Wir haben es hier mit einem besonders abscheulichen Verbrechen zu tun. Es wurde in einem Wohnhaus begangen, das mit einer aufwändigen Alarmanlage geschützt ist. Jemand ist auf brutale Weise in diese Privatsphäre eingedrungen und hat ein Menschenleben ausgelöscht. Mrs. Bishop hat sich unermüdlich für karitative Zwecke eingesetzt und war eine der beliebtesten Bürgerinnen unserer Stadt. Wir möchten ihrem Mann und ihrer ganzen Familie unser tief empfundenes Beileid aussprechen. Wir werden nicht eher ruhen, bis wir diese böse Kreatur ihrer gerechten Strafe zugeführt haben.«
Böse Kreatur.
Während er den Worten des Polizeibeamten lauschte, saugte er erneut an seiner Hand. Der Schmerz wurde immer schlimmer.
Böse Kreatur.
Die Schwellung war jetzt deutlich zu erkennen. Und noch etwas gefiel ihm ganz und gar nicht: Von der Wunde verliefen dünne, rote Linien in Richtung Arm. Er saugte noch heftiger, um das Gift, das womöglich dort drin steckte, zu entfernen. Auf dem Schreibtisch stand eine frische Tasse Tee. Er rührte um und zählte dabei.
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7.
Jetzt war wieder Dick Dixon zu hören, der über die Proteste gegen den Bau eines dritten Terminals auf dem Flughafen Gatwick berichtete. Die Stimme des örtlichen Parlamentsabgeordneten wurde eingespielt, er wetterte heftig gegen die Baupläne.
Böse Kreatur.
Er stand wütend auf und entfernte sich von seinem Computer, schlängelte sich zwischen Stapeln von Computerzubehör, Autozeitschriften und Reparaturanleitungen hindurch, bis er vor dem schmutzigen Kellerfenster mit den Netzgardinen stand. Niemand konnte hereinsehen, aber er hatte von hier unten einen guten Blick. Von seiner Höhle aus, wie er den Raum gerne nannte, sah er zwei gut geformte Beine am Fenster vorbeigehen. Lang, braun gebrannt, fest und muskulös, darüber den Hauch eines Minirocks.
Er bekam Lustgefühle, doch das schlechte Gewissen folgte auf dem Fuß.
Böse Kreatur.
Er kniete sich auf den fadenscheinigen Teppich, der nach Staub roch, bedeckte das Gesicht mit den Händen und betete das Vaterunser. Danach fügte er noch ein eigenes Gebet hinzu: »Lieber Gott, vergib mir meine lüsternen Gedanken. Mach, dass sie mir nicht im Weg stehen. Lass nicht zu, dass ich die Zeit, die du mir geschenkt hast, an solche Gedanken verschwende.«
Er betete noch ein wenig und stand wieder auf, von neuer Energie erfüllt und glücklich, weil er Gott jetzt bei sich im Zimmer spürte. Er kehrte zum Computer zurück und trank einen Schluck Tee. Im Radio erklärte jemand, wie man einen Drachen steigen lässt. Er selbst hatte nie einen Drachen steigen lassen. Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht. Vielleicht würde es ihn ablenken. Es wäre eine gute Möglichkeit, etwas von der Zeit, die sich auf seinem Konto angesammelt hatte, auszugeben.
Ja, einen Drachen.
Gut.
Aber wo konnte man so etwas kaufen? Im Sportgeschäft? Im Spielwarenladen? Natürlich übers Internet!
Keinen zu großen Drachen, er hatte ohnehin schon wenig Platz, doch die Wohnung gefiel ihm, weil sie drei Eingänge hatte – und damit natürlich auch drei Ausgänge.
Absolut ideal für eine böse Kreatur.
Das Haus, in dem er wohnte, lag an der viel befahrenen Sackville Road, wo Tag und Nacht Verkehr herrschte. Die Gegend war ziemlich heruntergekommen, während das andere Ende der Straße, das näher am Meer lag, rasch aufgewertet worden war. Hier aber, in der Nähe des Industriegebiets, wo eine Eisenbahnbrücke über die Straße führte, gab es nur einige wenige Geschäfte mit schmutzigen Schaufenstern und alte Reihenhäuser, die man in billige Wohnungen und Büros umgewandelt hatte.
Die Bewohner wechselten ständig, Studenten, aber auch Durchreisende und der eine oder andere Dealer. Nur selten trauten sich die eleganten älteren Damen von Hove in diese Straßen. Im Grunde war es eine anonyme Gegend, in der man sich rund um die Uhr bewegen konnte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.
Wie geschaffen für ihn. Nur die Nachtspeicherheizung und der undichte Spülkasten der Toilette trübten seine Freude ein wenig. Er reparierte alles selbst. Bloß keine Handwerker. Die wollte er hier nicht haben.
Der eine Ausgang führte über die Vordertreppe, der andere durch den Garten, der zur Erdgeschosswohnung gehörte. Deren Besitzer war ein abgefuckter Typ mit strähnigem
Weitere Kostenlose Bücher