Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
nichts als die wahrheit

nichts als die wahrheit

Titel: nichts als die wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
Vom Netzwerk:
daß ein und dieselbe Redaktion gleich zwei Menschen mit krimineller Energie aufbot, einen Fälscher und einen Erpresser?
    Es war Abend und dunkel geworden, ohne daß er es gemerkt hatte. Er mußte schon eine Zeitlang vor dem hellerleuchteten Fenster von Tines Zeitungsladen gestanden und versunken hineingestarrt haben, bis er das handgeschriebene Schild mit Bewußtsein wahrnahm:
    »Die Firma Lotto-Faber hat nichts mit der Deutschen Klassenlotterie zu tun. Ihre Annahmestelle.«
    Becker hob die Augen gen Himmel. Alles war verloren. Sogar Tine schloß sich den neuen Marotten an.
    Früher war hier eine Stehkneipe gewesen, »Walters Pinte«, noch ohne das obszöne Strichelchen vorm Genitiv-S. Walter hatte Glück: Er hatte Tine, immer gute Laune und zwei schwarze Beos, die in einem großen Käfig am Fenster saßen, durch die Gitterstäbe schissen und »Arschloch« sagten, wenn ein Gast hereinkam – und »Du hast ja ’n Vogel!«, wenn er wieder ging.
    Und dann verließ ihn das Glück. Erst waren die Vögel gestorben. Den einen hatten Kunden heimlich mit Styropor gefüttert – Idioten von der Sorte »Mal gucken, was passiert«. Eine Woche lang war das Tier daran verreckt. Der andere Beo starb nicht lange danach, »aus Einsamkeit«, davon war Tine jedenfalls fest überzeugt. Und dann verabschiedete sich Walter, nach Thailand, der Liebe wegen. Die Liebe währte vier Monate, ebensolange wie das Geld, das er aus der Kasse hatte mitgehen lassen. Danach verloren sich seine Spuren.
    »Er hätte doch nach Hause kommen können, der Depp«, sagte Tine, immer, wenn sie die Geschichte erzählte – jedesmal, wenn sie wieder einen gefunden hatte, der sie noch nicht kannte.
    Doch Menschen sind grausam. Die meisten interessierten sich weit mehr für den schrecklichen Tod der Beos als für das ungütige Geschick Walters. Als Hans sich vorgestern eine Tüte Fishermen’s Friend bei Tine kaufte, stand ein weißhaariger Herr im Laden und rauchte ein Zigarillo und gab eine ähnliche Geschichte zum besten.
    »Im Zoo hat jemand einem Nilpferd einen Schirm in den Rachen gesteckt – haben Sie das gelesen? Es stand in der ›Bild‹.«
    Tine hatte ihre dunkle Mähne geschüttelt und »So sind die Menschen« gesagt.
    Hans erwischte sich dabei, wie er ebenfalls den Kopf schüttelte. Wenn es Walters Pinte noch gäbe, würde er sich jetzt an den Tresen stellen, Tine beim Trocknen der Gläser zusehen und ein Bier trinken. Das Bedürfnis nach warmem Licht, klapperndem Geschirr, Stimmengemurmel und Alkohol wurde so übermächtig, daß er der Versuchung nachgab und die Straße hinunterging zur nächsten Kreuzung, dort, wo ein bekannter Italiener war.
    Als er das erste Mal mit dem alten Loewe die Kneipe ansteuerte, hatte der »Ahhh – das ›Capriccio‹ – berühmte Wäscherei!« gemurmelt. Spürsinnige Journalisten glaubten, hinter allen etwas besseren italienischen Restaurants stecke unweigerlich die Mafia. Wenn das stimmte, war die Cosa Nostra vom »Capriccio« besonders wohlerzogen.
    An der Tür empfing ihn Emilio, riß die dunklen Augen auf und sagte: »Lange nicht gesehen!« Hans wehrte sich erfolglos gegen die Rührung, die in ihm aufstieg wie ein Schluckauf. Er hatte sich seit Monas Fahnenflucht eine Kneipe dieser Kategorie nicht mehr leisten können. Heute konnte er sie sich auch nicht leisten. Aber heute mußte er sich trösten.
    Über Lilly. Seit ihrem Gespräch hatte er ein Gefühl, als ob sich die Eckpfeiler seiner bescheidenen kleinen Welt irreparabel verschoben hätten. Daß es skrupellose Lügner gab, auch und gerade in seiner Branche – geschenkt. Nur Journalisten selbst glauben, in ihrem Berufsstand seien die kritischen Geister, die Aufklärer und Rächer der Enterbten in der Mehrzahl.
    Aber Lilly? Jemand, der so vom Mitleid beseelt wäre, von seiner aufklärerischen Mission, von seinem guten Ruf?
    Genau. Genau so jemand wie Lilly, insistierte sein Verstand.
    Sie hatte sich mitreißen lassen vom Nimbus, den einem die Mediengesellschaft verleiht, wenn man auch nur den Anschein von Untadeligkeit erweckt. Sie war hereingefallen auf ihre eigenen moralischen Inszenierungen. Sie hatte die Wahrheit verwechselt mit dem, was sie für gut und richtig hielt. Was für Allmachtsphantasien sich unter der Fassade der Bescheidenheit ausgetobt haben mußten! Lilly hatte Schicksal, sie hatte Gott gespielt.
    Aber in Peter Zettel war Lilly ihrer biblischen Strafe begegnet. Er dürfte ihre Fälschungen nicht deshalb so akribisch aufgelistet haben, um

Weitere Kostenlose Bücher