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Nichts als Erlösung

Nichts als Erlösung

Titel: Nichts als Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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    ***
    Etwas ist anders in dieser Nacht. Er kann nicht sagen, was, hat keinerlei Anhaltspunkt dafür, und doch ist es da, dieses miese Gefühl. Sitzt ihm im Nacken und belauert ihn. Er hält den Atem an und horcht in die Dunkelheit, die heute kompakter zu sein scheint als in den Nächten zuvor, greifbar beinahe. Als sei sie ein Wesen, das zwischen den Baumstämmen hockt, bereit, ihn zu ersticken. Jetzt reicht’s aber wirklich, Eric, Himmel, Arsch und Zwirn. Hier ist niemand außer dir, niemand und nichts. Nur die Gebeine von ein paar toten Soldaten unter der Erde, einem zumindest, und das zu beweisen, bist du hier. Er checkt seine Position auf dem GPS-Gerät und wendet sich nach links, dorthin, wo er den Skelettfuß gefunden hat. A man’s gotta do, what a man’s gotta do. Wer hat das noch mal gesungen oder gesagt? Es fällt ihm nicht ein, und es ist auch egal. Der Satz begleitet ihn, wiederholt sich im Takt seiner Schritte, und er ist schlicht wahr. Handeln muss er, sich Gewissheit verschaffen, ob er tatsächlich auf einen toten Soldaten gestoßen ist, das ist die einzige Lösung für sein Dilemma, das hat er im Laufe des Tages kapiert.
    Noch 300 Meter trennen ihn von der Stelle. Der Spaten hängt an seinem Gürtel, daneben die Lampe, der Deus ist einsatzbereit und voll geladen. Schön wird das nicht, aber was sein muss, muss sein. Irgendeinen Hinweis auf die Identität des toten Soldaten wird der Deus schon noch finden. Einen Jackenknopf zum Beispiel. Oder ein Einheitsabzeichen, so wie letzten Sommer auf dem Acker, wo er legal mit Kurt unterwegs war. 100th Engineer Battallon, 34th Division stand da drauf, eine US-Army-Einheit aus South Dakota, die im Zweiten Weltkrieg in Europa im Einsatz war, wie ihm Google verriet. Es gab sogar einen Link zu einer Veteranenseite, die die Nachkommen der Hinterbliebenen in den USA ins Internet gestellt hatten. Da konnte man nachlesen, dass die meisten Jungs dieser Division bereits in Italien gefallen waren, nur die wenigsten hatten es bis nach Deutschland und dort ins Rhein-Main-Gebiet geschafft. Und einer hatte dann hier sein Abzeichen verloren – und aller Wahrscheinlichkeit nach auch sein Leben.
    Etwas knackt hinter ihm, splittert und raschelt, es klingt fast wie Schritte. Er fährt herum, versucht etwas zu erkennen. Der Schatten der Büsche wirkt seltsam verzerrt, und da ist so ein Glitzern, wie das Weiß von Pupillen. Er tastet nach der Lampe, atmet durch, knipst sie an. Nichts, gar nichts. Nur Gesträuch und Bäume und drum herum Schwärze.
    Er kontrolliert seine Position. Nur noch wenige Meter. Wieso ist er heute so nervös? Etwas surrt an seinem Ohr. Er schlägt danach, blind. Verfluchte Scheißmücken, Herrgott noch mal. Kurt ist schuld, dass er so durch den Wind ist. Seine komischen Blicke, seine Fragen, sein Gerede von dem Schild. Ist Kurt ihm etwa gefolgt, will ihn hier quasi in flagranti ertappen? Quatsch, das ist Quatsch. Er war noch verdammt viel vorsichtiger als die letzten Male. Falls ihm jemand gefolgt ist, das hätte er bemerkt.
    Er wischt sich den Schweiß von der Stirn und leuchtet über den Boden. Er ist am Ziel. Die Stelle, wo er den Fuß gefunden hat, springt ihm sofort ins Auge. Jeder Depp kann erkennen, dass hier jemand gegraben hat. Sollte jemals ein Polizist hier herumlatschen, wird der in null Komma nix auch die anderen Grablöcher finden. Besser also, wenn das niemals geschieht. Und dafür wird er jetzt sorgen. Sich Klarheit verschaffen. Gewissheit. Und wenn er die hat, kann Kurt so viel rumnerven, wie er will, das ist dann egal. Sie können ja auch mal wieder zusammen auf Tour gehen, ganz legal, so wie früher, und hier im Steiner Wald kann in Frieden Gras über seinen kleinen Fehltritt wachsen, auch wenn das darkcave natürlich nicht schmecken wird.
    Er kniet sich hin und positioniert die Lampe so, dass sie die Stelle anleuchtet, an der er gleich graben wird. Wieder raschelt etwas hinter ihm. Instinktiv dreht er sich herum, kann jedoch ohne Lampe überhaupt nichts erkennen. Schwarz, nur schwarz, alles ist still. Unnatürlich still, als halte jemand den Atem an.
    Jetzt reg dich mal ab, Eric, krieg dich mal ein. Wenn hier was raschelt, dann irgendein Viech. Aber warum ist das dann nun, wo er hinguckt, völlig starr? So sind Tiere doch nicht, so berechnend, so schlau?
    Dort ist ein Mensch. Sein Instinkt sagt ihm das, und schon hört er im Gebüsch ein metallisches Klicken.
    Sabine. Die Kinder. Er muss die Lampe ausschalten. Er greift nach

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