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Nichts als Erlösung

Nichts als Erlösung

Titel: Nichts als Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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schon wieder. Er dreht der Pressemeute den Rücken zu. »Wieso hat Jonas das damals, als er in U-Haft saß, nicht ausgesagt?«
    »Es hätte ihm ja doch niemand geglaubt, meint Lea Wenzel. Und er hatte ja auch keine Beweise.«
    Beweise, ja. Wenn Hans Vollenweider tatsächlich der Täter von damals ist, wäre er heute 77. Ein stattliches Alter, aber möglicherweise wäre er doch noch kräftig genug, seinem Sohn eine Knarre an den Kopf zu halten und abzudrücken. Aber wo hätte er sich zuvor 20 Jahre lang verstecken sollen? Doch wohl kaum in dem Haus, dessen rechtmäßiger Besitzer seit Jahren Jonas war. Außerdem haben sie das ja akribisch durchsucht, und die Nachbarn sind aufmerksam. Und wie hätte es ihm überhaupt gelingen sollen, seinen Sohn zu überrumpeln?
    »Manni, hey, hörst du mir eigentlich zu?«, sagt die Stimme Judith Kriegers in sein Ohr.
    »Sorry, was?«
    »Miriam hatte einen Freund, von dem wir bislang nichts wussten«, sagt sie, jedes Wort überdeutlich betonend. »Dieser Freund war wohl deutlich älter als sie und betucht. Er hat ihr eine goldene Halskette geschenkt, die sie allerdings nicht zu Hause trug – aus Angst vor ihrem Vater.«
    Ein heimlicher Liebhaber, na bravo, der hat noch gefehlt. »Der hätte ja wohl kaum einen Grund gehabt, sowohl Miriam als auch ihre Eltern zu töten, und dann so viel später auch noch Jonas«, sagt Manni.
    »Es sei denn, Miriam und dieser Mister X sind Komplizen, und Jonas kam ihnen auf die Schliche. Aber laut Lea Wenzel standen Miriam und Jonas sich sehr nah.« Die Krieger seufzt. »Ich versteh es doch auch nicht, Manni. Aber in jedem Fall könnte dieser Freund etwas wissen. Wir können seine Existenz nicht einfach ignorieren.«
    Nicht ignorieren, nein, das wohl nicht. Und wer weiß, vielleicht gibt dieser ominöse Lover dem Fall ja wirklich einen vollkommen neuen Dreh. Er hört sich den weiteren Bericht Judith Kriegers über ihren Jetsettrip an, bringt sie seinerseits auf Stand. Sie sei schon so gut wie auf dem Heimweg, sagt sie zum Abschied. Sie hoffe, noch in der Nacht zurückzufliegen.
    Er schiebt das Handy wieder in die Hosentasche, fühlt sich auf einmal bleiern müde. Vielleicht geht es ja doch nicht um Hans Vollenweiders Heimleitertätigkeit, vielleicht müssen sie nicht mehrere Hundert ehemalige Heimkinder, die in alle Himmelsrichtungen verstreut leben, aufspüren und vernehmen, um denjenigen zu finden, der auf Rache sinnt. Vielleicht haben sie es mit einer banalen Familientragödie zu tun, einem Eifersuchtsdrama, einem weiteren Scheißkerl, der seine Familie so sehr hasst, dass er sie auslöscht.
    Wut packt ihn bei diesem Gedanken, eiskalte Wut, und es ist, als ob Ekaterina Petrowa diese Stimmung wahrnimmt, präzise wie ein Seismograf, denn sie hebt den Kopf und sieht ihm aus kohlschwarzen Mongolenaugen entgegen, als er zurück zur Grube läuft. Sieht ihn so an, als wüsste sie ganz genau, was in ihm vorgeht, besser sogar als er selbst, besser, als er das überhaupt je ergründen will.
    Sind das dort nun die Gebeine der Vollenweiders oder nicht? Er will endlich wissen, was Sache ist, irgendeinen Anhaltspunkt muss es doch geben. Aber irgendetwas stimmt nicht mit diesen Knochen, stimmt ganz und gar nicht.
    »Ich habe so etwas schon einmal untersucht.« Ekaterina Petrowa spricht ungewöhnlich leise, trotzdem schrillt jedes Wort in seinen Ohren.
    »Was denn?« Er beugt sich zu ihr herunter, starrt auf die Knochen.
    »Ein Gräberfeld. Daheim auf der Kola-Halbinsel.« Sehr sacht schiebt die Rechtsmedizinerin ein wenig rötliche Erde beiseite, legt einen weiteren Knochen frei. Ein Schienbein vielleicht. Dann ein paar skelettierte Zehen. Winzig sehen die aus.
    »Es gab nur einen Unterschied.« Wieder sieht sie ihn an, unergründlich und schwarz.
    »Nämlich?«
    »Bei uns oben wurden Soldaten verscharrt.«
    »Und hier?«
    »Kinder.«
    ***
    »Mein Gott.« Lea Wenzel krümmt sich über ihrem Bauch zusammen, als könne sie ihr noch ungeborenes Kind auf diese Weise vor Judiths Worten schützen. Sie sind wieder in Leas Haus im Olivenhain, sitzen erneut auf der Veranda, und um sie herum tost der Ruf der Zikaden. Doch er hat nichts Romantisches mehr, nicht nach dem, was Judith Lea nach einem weiteren Telefonat mit Manni eröffnet hat.
    Maria Damianidi steht auf, entfernt sich ein paar Meter und zündet sich eine Zigarette an. Ein Versuch, Lea zu schützen, ihr ein klein wenig Freiraum zu lassen. Was natürlich nicht funktioniert, nicht funktionieren kann. Es gibt keine

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