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Nichts als Erlösung

Nichts als Erlösung

Titel: Nichts als Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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das nicht gewagt.«
    »Wegen ihres Vaters?«
    »Natürlich, ja. Er durfte nichts von dem Freund erfahren.«
    »Aber Jonas schon.«
    »Jo war ihr Verbündeter. Er hatte gehofft, Miri würde es mit seiner Unterstützung endlich wagen, sich gegen den Vater aufzulehnen. Auszuziehen. Jetzt, wo sie einen Freund hatte und studierte.«
    »Aber das tat sie nicht.«
    »Sie hatte Angst, einfach zu viel Angst.«
    »Angst vor ihrem Vater?«
    »Ja.«
    ***
    Er hatte recht, sein Instinkt hat einen Volltreffer gelandet. Aber es fühlt sich nicht gut an, ganz und gar nicht. Es fühlt sich an wie ein Schritt in einen Sumpf. Manni zieht den Schirm seiner Baseballkappe tiefer in die Stirn. Die Sonne knallt gnadenlos aus einem unverändert stahlblauen Himmel, selbst noch am Spätnachmittag. Stahlblau – was für ein blödes Wort, ist Stahl überhaupt jemals blau? Stahlblau, stahlhart, hart wie Kruppstahl, wieso denkt er das? Hans Vollenweider war kein aktives Mitglied der rechten Szene, jedenfalls gibt es keinen Hinweis darauf. Er geht in die Hocke und versucht in der Grube, in der Ekaterina Petrowa und zwei KTU-ler im Zeitlupentempo Erdkrumen beiseitelöffeln, einen Fortschritt zu erkennen. Einen halben Schädel, ein paar Rippen, ein Stück Kiefer haben sie inzwischen freigelegt, aber irgendetwas ist komisch daran, irgendetwas stimmt nicht mit den Proportionen. Einer der Kriminaltechniker beginnt zu fotografieren, dann beugt sich die Russin wieder vor und bearbeitet die Erde mit ihrem Spatel. Sind das nun die sterblichen Überreste der Vollenweiders oder nicht? Er weiß, dass es sinnlos ist, die Rechtsmedizinerin zu einer vorschnellen Aussage bewegen zu wollen. Sie hasst Spekulationen und wird erst dann reden, wenn sie selbst den Zeitpunkt für gekommen hält.
    Manni richtet sich auf und schlendert zu dem Bus der Spurensicherer, aus dessen spärlichem Schatten ihm Elke Schwab mit großen Augen entgegenblickt und so wirkt, als sei sie ohne Vorwarnung mitten in einen Albtraum katapultiert worden, der einfach nicht aufhört. Was ja durchaus nicht falsch ist, auch ihm selbst geht das Setting an die Nieren und die Aussichten auf ein Happy End sind alles andere als rosig. In ihren Händen hält Elke Schwab den Plan des Kinderheim-Geländes, dreht ihn und dreht ihn immer hin und her. Dort, wo sie graben, lag früher das Gemüsebeet. Es gehörte zur Philosophie aller Kinderheime im Nationalsozialismus und auch in der Nachkriegszeit, dass die Zöglinge durch Landarbeit und Obst- und Gemüseanbau zu ihrer Ernährung beitragen sollten, hat die Mitarbeiterin des Jugendamts ihm erklärt. In einer Art Flashback sieht Manni Zweierreihen von mageren Jungen in kurzen Hosen mit Schaufeln und Hacken aufmarschieren, um Unkraut zu jäten und Radieschen und Möhren zu ernten. Warum wurden die Leichen ausgerechnet im Gemüsebeet vergraben? Hatte sich dort unter der Ägide der Vollenweiders ein besonderes Drama abgespielt? Vielleicht ist es so, vielleicht ist es aber auch bloß Zufall, dass der Täter die Leichen gerade hier vergrub, oder er hat darauf spekuliert, dass das Erdreich hier dank jahrzehntelanger Bestellung lockerer und also leichter auszuheben war. Wenn dort in der Grube überhaupt die sterblichen Überreste der Vollenweiders liegen. Wenn der Täter, den sie suchen, überhaupt ein ehemaliges Heimkind ist, das Rache nahm. ›Die Radieschen von unten begucken‹ – für einen Moment füllt sich dieser Kalauer vor Mannis innerem Auge auf eine Weise mit Leben, die ganz und gar nicht appetitlich ist, vor allem, wenn er daran denkt, wie gerne und oft Sonja Radieschen isst. Er zwingt diese Assoziation beiseite. Das hier war erst ein Gemüsebeet und dann ein Grab, Mann. Das ist die korrekte Reihenfolge, verdreh die jetzt nicht.
    Sein Handy beginnt zu fiepen, zum x-ten Mal an diesem Tag, das Display zeigt die Nummer von Judith Krieger, die also doch noch aus ihrem griechischen Funkloch aufgetaucht ist. Er nickt Elke Schwab zu und begibt sich außer Hörweite, stellt mit einem Seitenblick fest, dass der KURIER-Fuzzi hinter der Absperrung inzwischen Gesellschaft von weiteren Pressevertretern bekommen hat. Auch zwei Fernsehteams packen ihr Equipment aus und beäugen jede seiner Bewegungen.
    »Jonas war davon überzeugt, dass sein Vater der Täter war«, sagt die Krieger, sobald er sich gemeldet hat. »Laut Jonas war Hans Vollenweider ein Tyrann, seine Pädagogik war rabenschwarz – von den Nationalsozialisten geprägt.«
    Stahlblau, Kruppstahl, die Nazis,

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