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Nichts als Erlösung

Nichts als Erlösung

Titel: Nichts als Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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reiten, Kurt und sich selbst und auch noch Sabine? Hat er Sabine womöglich als Pfand seiner Liebe den Schmuck eines Mordopfers geschenkt?
    Er drischt mit der Faust auf den Türrahmen, fühlt den Schmerz wie durch Watte. Schlägt noch einmal zu. Und nochmals. Und nochmals, bis es blutet. Die ungeschminkte Wahrheit. Er hat gewollt, dass sie das leben. Er hat gedacht, das sei leicht. Aber er hat sich was vorgemacht, in Wirklichkeit hat er Sabine von Anfang an belogen. Sie und sich selbst, denn natürlich hätte er ihr von Timo erzählen müssen, als sie ihn fragte, ob er Kinder habe. Und dann kam Jan auf die Welt, und er kriegte die Zähne noch immer nicht auseinander. Und dann war der Zug einfach abgefahren.
    Er geht rüber ins Bad, wäscht sich das Blut von den Knöcheln, klebt Pflaster darüber und rasiert sich. Eric der Loser. Eric der Lügner. Aber das ist nicht die ganze Geschichte, auch das ist so nicht wahr. Er zieht sich ein frisches Hemd und eine saubere Jeans an und klemmt sich Lydia wieder unter den Arm.
    Er fährt schnell, mit heruntergelassenen Fenstern. Er versucht möglichst wenig zu denken, bis er das noble Darmstädter Komponistenviertel erreicht. Die Villa seiner Schwiegereltern liegt groß und protzig hinter hohen Hecken im Haydnweg. Er stellt den Motor ab und steigt aus.
    Er gehört hier nicht hin, noch weniger als in sein eigenes Haus, er, der Erbschleicher und Emporkömmling, der Verführer der höheren Tochter, aber auf einmal ist ihm das egal, und wahrscheinlich hätte es ihm schon immer egal sein müssen, denkt er, während er auf die weiß lackierte Haustür zuläuft.
    »Eric.« Sein Schwiegervater selbst öffnet die Tür. Sein Blick gleitet von Erics Gesicht zu Julias Giraffe in seiner Linken. Sein Händedruck wahrt gerade eben so die Höflichkeit.
    »Sind sie da?«
    »Im Garten.«
    Er folgt seinem Schwiegervater ins Haus. Die Glasflügeltüren zur Terrasse sind weit geöffnet, von irgendwoher hört er die Stimmen seiner Kinder. Der Alte will weiter vorangehen, um sein kostbares Töchterlein zu beschützen, aber Eric stoppt ihn, indem er ihm die Hand auf die Schulter legt und den Kopf schüttelt, und zu seiner Überraschung nickt sein Schwiegervater nach kurzem Zögern und macht brav wieder kehrt.
    Sabine sitzt auf der Bank unter dem Apfelbaum. In ihrem Schoß liegt ein Buch, aber sie liest nicht, sondern blickt ihm entgegen, stumm und reglos, als sei sie aus Marmor, wie die albernen Kitschlöwen, die den Abgang von der Terrasse zum Rasen flankieren. Die ungeschminkte Wahrheit. Alles, ohne Ausnahme. Er weiß nicht, wie sie reagieren wird. Weiß nicht, ob er die richtigen Worte finden wird. Weiß nicht, ob es nicht schon längst zu spät ist. Aber etwas verändert sich in Sabines Augen, das sieht er mit jedem Schritt, den er auf sie zugeht. Sie liebt ihn noch immer, vielleicht ist es das. Er hat noch eine Chance, eine, die er besser nicht versieben sollte, egal, was passiert, auf gar keinen Fall.
    Er kniet sich vor ihr ins Gras, immer noch mit Lydia in der Hand, die weich ist, sehr weich.
    ***
    Die Verlobte des Täters sieht ihr ähnlich. Kurt Böhm hat geschworen, dass er das nicht erfunden hat und dass sein Gedächtnis für Gesichter ganz ausgezeichnet ist. Susanne. Jünger als Judith sei sie damals natürlich gewesen, etwa Mitte 20. Aber die blasse Haut und die Augenpartie und die Gesichtsform – die ganze Zeit habe er sich schon gefragt, warum Judith ihm bekannt vorkäme, und als sie dann ihre Haare zurückgebunden hatte, sei ihm schlagartig bewusst geworden, wie groß diese Ähnlichkeit ist. Die Verlobte des Täters sieht ihr ähnlich, und der Täter schickt ihr Briefe mit Fotos von seinen Tatorten. Nicht der Polizei, nicht der Mordkommission, sondern ihr. Weil sie wie seine Verlobte aussieht? Weil er sie für seine Verlobte hält? Ich will das nicht, denkt sie wild. Ich will diesen Wahnsinn nicht. Die Narben des Winters sind doch noch ganz frisch, ich habe doch gerade erst wieder gelernt, mich frei zu bewegen. Ohne Verfolgungswahn. Ohne Angst. Ohne Misstrauen gegen alles und jeden.
    Sie schiebt sich die Kopfhörer ihres iPods in die Ohren. Foreigner, wieder Foreigner. Die sonnendurchtränkte Lässigkeit der australischen Geschwister Stone passt jetzt nicht mehr. I’m gonna win, brüllt Lou Gramm, I’m gonna win, auch wenn der Gewinn seinen Preis hat, werde ich gewinnen, und sie will mitjohlen, schreien, etwas zerschlagen, zertreten, zerstören, aber es würde nicht helfen, und sie

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