Nichts für Anfänger - Roman
interessiert. Weil er alles ausprobiert und nie irgendwas scheiße findet und Gott Menschen liebt, die alles ausprobieren, und wenn Deano gerade nicht Teil ihres Lebens wäre, hier drüben, in diesem England, in diesem London, dann wäre es völlig egal, wie toll die Arbeit bei Grace’s Angels ist und dass sie in der größten und besten Stadt der Welt lebt, es würde ihr trotzdem die Luft abschnüren. Weil am Ende ist sie das genaue Gegenteil von Deano und findet so viele Dinge total scheiße und bescheuert, dass sie zusammen das perfekte Paar sind. Außerdem, fügt sie hinzu, findet sie das Heilen total entspannend. Wie eine superlange Massage mit ganz viel heftigem Atmen obendrauf.
Deano braucht eine Ewigkeit, um mich zu bequatschen, mit zu Gemeinschaft zu kommen. Er sagt nicht »die« Gemeinschaft. Es heißt einfach nur Gemeinschaft. Ohne was davor. So ist das eben. Und das soll die Wichtigkeit des Ganzen unterstreichen, und die Tatsache, dass das nicht die einsame Idee von ein paar wenigen ist. Sondern überall. Als ich Deano danach frage, haben wir unseren ersten richtigen Streit, weil er sagt, dass »mein« und »dein« kein Teil von Gemeinschaft sind, sondern nur ein allumfassendes »unser«, und ich sage, dass »mein« aber wohl ein nicht unerheblicher Teil von »Ge mein schaft« ist, und er flippt total aus.
Egal, das Gebäude ist jedenfalls eine umgebaute Kirche in Islington, was mit der normalen überirdischen Bahn fast eine Stunde von uns entfernt liegt. Also ist es sowieso schon ein ziemlicher Krampf hinzukommen, sogar wenn man nicht an den Ohren hingeschleift wird. Seit dem ersten Tag in London hat mir Deano andauernd mit Flugblättern und Broschüren vor dem Gesicht herumgewedelt, auf denen Fotos von Heilern abgedruckt waren, hauptsächlich bärtige Typen mit Zopf und lächelnden Augen oder alte Omis mit grauen Haaren, riesigen Holzketten und kunterbunten Oberteilen, und alle, Männer und Frauen, blickten mit ihrem gütigsten Jesusblick direkt in die Kamera. Oder aber sie trugen sackartige Westen und Jogginghosen und standen breitbeinig neben einem Massagetisch und lehnten sich mit ausgestreckten Armen über ein scheinbar schlafendes Heilobjekt, hatten die Augen fest geschlossen und hoben den Kopf zum Himmel.
Oben auf den Broschüren stand Schule der Astralwissenschaften,und hinten drauf war ein Foto vom Oberboss der Schule, einer Frau mit rabenschwarzen Hexenhaaren und riesigen weißen amerikanischen Zähnen. Sie hieß Serenity Powers, und unter ihrem Foto war eine kurze Rede abgedruckt, in der sie sagte, dass sie ursprünglich eine Top-Wissenschaftlerin gewesen ist, die an allem möglichen grenzwertigen Zeug für einen großen amerikanischen Konzern arbeitete, als sie herausf and, dass sie die Gabe hat, aurische Felder zu sehen, und in der Lage ist, die komplexen Wege der Energien in unserem Körper zu manipulieren. Und dass es jetzt ihr allergrößter Wunsch war, diese Gabe mit der Welt zu teilen, und deshalb hat sie überall, wo es nur ging, Schulen der Astralwissenschaften gegründet. Und sie will, dass du, also ich, in den Genuss dieser Gabe kommst und endlich weißt, wie es sich anfühlt, wenn man Menschen heilen kann.
Ich danke Deano für das Angebot, aber ich mache es so wie Fiona und sage, dass mir das alles etwas eso-peso vorkommt. Er gibt jedoch nicht auf und kommt immer und immer wieder mit neuen Argumenten an, warum ich mit ihm zu Gemeinschaft kommen sollte. Er sagt, dass ich ja nun unter der Wo che nichts mache, als in Der Firma rumzugammeln, und dass es Zeit wird, mal ernsthaft darüber nachzudenken, wieder zurück zur Schule zu gehen. Aber seiner Ansicht nach werde ich nach ein paar Sitzungen bei Gemeinschaft weit mehr gelernt haben als in einem ganzen Leben in jedwedem realen Schulsystem.
Ich sage ihm, dass das spitzenmäßig klingt, habe aber direkt mein Totschlagargument parat, nämlich die Geldfrage. Bei dreißig Pfund pro Sitzung würde Gemeinschaft fast mein gesamtes Wochengehalt verschlingen, vom Trinkgeld mal abgesehen. Was bedeuten würde, dass ich Tante Grace keine Miete mehr zahlen könnte. Deano sagt mir, dass Geld auch nichts anderes als Energie ist und dass es für die Schule der Astralwissenschaften keine Rolle spielt und sie nur so teuer sind, weil die erlernten Fähigkeiten hoch spezialisiert sind und im Prinzip aus höchsten Kreisen der Wissenschaftlergemeinde kommen. Man würde doch von den größten amerikanischen Konzernen auch nicht erwarten, dass sie einem
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