Nick Adams Stories
versehentlich in den Laden geraten. Einmal, als junger Mann, hatte er das nördliche Michigan verlassen; achtzehn Jahre war er fortgeblieben. Man hätte ihn eher für einen Sheriff gehalten oder für einen ehrlichen Spieler als für den Besitzer eines Krämerladens. Früher einmal, da hatten ihm gute Spielsalons gehört, und er hatte sie gut geführt. Aber nachdem die Gegend gerodet war, hatte er Farmland gekauft und war geblieben. Schließlich hatte er, nachdem der Bezirk Selbstverwaltung erhalten hatte, den Laden erworben. Das Hotel gehörte ihm zu diesem Zeitpunkt bereits. Ein Hotel ohne Bar jedoch, so sagte er immer, machte ihm keinen Spaß; so kam es, daß er sich nur selten dorthin verlief. Das Hotel führte Mrs. Packard. Sie war ehrgeiziger als Mr. John. Mr. John erklärte, er habe keine Lust, seine Zeit mit Leuten zu vertrödeln, die genug Geld hatten, um Urlaub zu machen, wo immer sie wollten, und dann in einem Hotel ohne Bar hängen blieben und den Tag damit verbrachten, im Schaukelstuhl auf der Veranda zu hocken. Er nannte die Touristen ‹Wechseljährlinge› und zog sie bei Mrs. Packard durch den Kakao; aber Mrs. Packard liebte ihn, und es machte ihr nichts aus, wenn er sie hänselte.
«Nenn sie meinetwegen ruhig Wechseljährlinge», sagte sie eines Nachts im Bett zu ihm. «Ich hab die dämliche Chose hinter mir – aber soweit’s an mir liegt, bist du deswegen nicht gerade zum Fremdgehen gezwungen, oder?»
Sie mochte die Urlauber, weil einige von ihnen ein wenig Kultur mitbrachten; und Mr. John sagte, sie sei hinter Kultur her wie ein Holzfäller hinter Peerless, dem berühmten Kautabak. Tatsächlich respektierte er ihre kulturellen Neigungen, weil sie ihm klarmachte, ihr Verhältnis zur Kultur sei dem seinen zu erstklassigem Markenwhiskey vergleichbar. «Packard», sagte sie, «du brauchst dich nicht um die Kultur zu kümmern; ich will dir damit nicht auf die Nerven gehn. Aber ich find sie wundervoll.»
Mr. John erklärte, sie könne so viel Kultur haben, bis sie ihr zu den Nasenlöchern herausliefe, solange sie ihn mit Volkshochschulkursen und so verschone. Zur Zeltmission und solchen Veranstaltungen sei er ja schon mal gegangen, aber noch nie in eine Volkshochschule. Er sagte, Zeltmission sei schon schlimm genug, aber da komme es doch hinterher wenigstens manchmal zum Geschlechtsverkehr, wenn jemand so recht vom Geist übermannt sei. Allerdings habe er noch nie gehört, daß einer nach einer Zeltmissionsveranstaltung seine Rechnung bezahlt habe. Mrs. Packard, vertraute er Nick an, würde sich wohl Sorgen um die Rettung seiner unsterblichen Seele machen, wenn sie je eine große Veranstaltung besuchen sollte, auf der Gypsy Smith predigte, der große Evangelist, oder einer von diesem Kaliber; aber dann würde sich herausstellen, daß er, Packard, genauso aussehe wie Gypsy Smith, und am Ende würde alles in Butter sein. Aber Volkshochschule, das sei schon eine verdammt komische Sache. Vielleicht sei Kultur besser als Religion, meinte Mr. John nachdenklich; aber ihn lasse das alles kühl. Immerhin seien die Leute verrückt darauf, und er sehe ein, daß das nicht nur so eine modische Schrulle sei.
«Also, jedenfalls hat sie’s gepackt», hatte er zu Nick Adams gesagt. «Es muß was Ähnliches sein wie bei den Tanzenden Derwischen, aber nur im Gehirn. Du kannst dich ja mal gelegentlich damit beschäftigen; sag mir dann, was du davon hältst. Du willst doch Schriftsteller werden, da mußt du dich beizeiten um diese Dinge kümmern. Paß auf, daß die anderen nicht zuviel Vorsprung kriegen.»
Mr. John mochte Nick Adams, weil er, so sagte er, etwas von der Erbsünde mitbekommen habe. Nick wußte nicht recht, was er damit meinte, aber es machte ihn stolz.
«Es wird da immer mal was geben, Junge, was du zu bereuen hast», hatte Mr. John zu Nick gesagt. «Und das ist das beste, was einem passieren kann. Ob du bereuen willst oder nicht, das kannst du dann immer noch entscheiden. Hauptsache, es gibt was.»
«Ich will aber nichts Schlechtes tun», hatte Nick erwidert.
«Daß du was Schlechtes tust», hatte Mr. John gesagt, «das will ich auch nicht. Aber du lebst, du bist lebendig – da wird es immer mal was geben. Du sollst nie lügen, und du sollst nie stehlen … Na ja, lügen muß jeder mal. Aber wähl dir einen Menschen aus, den du nie belügst.»
«Dann wähle ich Sie.»
«Also gut: Du belügst mich nie – egal, worum es geht. Dann werd ich dich auch nie belügen.»
«Ich will’s versuchen»,
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