Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
vorerst außer Gefecht
gesetzt. »Als nächstes trete ich einen Schritt zurück, Melvin«, kündigte ich an. »Aber meine Pistole bleibt dabei weiter auf Ihren Kopf gerichtet – kommen Sie also nicht auf dumme Ideen. Dann werde ich Sie auffordern, sich hinzuknien. Haben Sie das verstanden?«
Als er nickte, trat ich rasch einen Schritt zurück, um sofort außer Melvins Reichweite zu sein. Er sollte keine Chance haben, den heldenhaften Versuch zu
unternehmen, sich herumzuwerfen und nach der Pistole zu greifen oder sie zur Seite zu schlagen.
»Okay, Sie knien sich jetzt hin. Legen Sie sich genau wie Ron auf den Fußboden. Strecken Sie Ihren linken Arm aus, bis er seinen rechten berührt.«
Nun lagen die beiden vor mir auf dem Bauch. Ich trat hinter sie, hob die Handschellen auf, drückte meine Pistole gegen Melvins Ohr und fesselte sein linkes Handgelenk an Rons rechtes. Dann zog ich Melvins
Handschellen aus ihrer Gürteltasche, trat zurück und sagte: »Legt euch mit dem Rücken zueinander auf die Seite, damit ich die freien Hände auch fesseln kann. Habt ihr verstanden? Glaubt mir, Jungs, ich will diese Sache bloß hinter mich bringen, damit ich schnellstens abhauen kann.«
Ich legte ihnen das zweite Paar Handschellen an.
Damit waren sie endgültig außer Gefecht gesetzt. Ich nahm ihnen die Geldbörsen ab und warf sie in die
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Reisetasche. Melvins Handfunkgerät behielt ich; Rons Gerät flog ausgeschaltet in meine Reisetasche. Ich holte die Rolle Gewebeband heraus und benutzte sie, um ihre Beine aneinanderzufesseln, bevor ich die beiden in die Diele schleppte. Das war verdammt mühsam, aber ich wollte verhindern, daß sie sahen, was ich als nächstes tun würde.
Ich sah zu Kelly hinüber, die an die Wand gepreßt auf dem Fußboden hockte. Für sie mußte das alles
schrecklich gewesen sein. Sie hatte sich so darauf gefreut, wieder nach Hause zu kommen, und nun war hier alles ganz anders als erwartet. Sie mußte nicht nur verkraften, daß Mommy, Daddy und Aida nicht da
waren; alle vertrauten Dinge in ihrem Elternhaus
schienen entweder mit Chemikalien getränkt, zur Seite geschoben oder einfach verschwunden zu sein.
»Willst du mal nachsehen, ob du deine Teddybären
findest?« hörte ich mich fragen.
Sie sprang auf, rannte hinaus und polterte die Treppe hinauf.
Im Arbeitszimmer kniete ich vor dem fehlenden
Paneel nieder und konnte nun endlich den Wandtresor öffnen. Er enthielt lediglich eine einzelne Diskette.
Ich schob den Stuhl an den Schreibtisch zurück und stellte den PC wieder auf. Kurze Zeit später lief er bereits. Die Dateien waren nicht durch Kennwörter geschützt, aber darauf hatte Kev wahrscheinlich bewußt verzichtet. Falls ihm etwas zustieß, sollte jeder lesen können, was auf dieser Diskette gespeichert war.
Ich öffnete mehrere Dateien, ohne auf etwas
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Interessantes zu stoßen. Dann entdeckte ich eine, die Flavius benannt war, und wußte, daß ich fündig geworden war. Das war der Deckname unseres
Unternehmens in Gibraltar gewesen.
Ich begann zu lesen. Kev hatte ziemlich genau das herausbekommen, was Big Al berichtet hatte: Die
Zusammenarbeit zwischen PIRA und Drogenkartell hatte damit begonnen, daß die Terroristen angefangen hatten, kolumbianisches Kokain über Nordafrika nach Gibraltar zu schmuggeln, um es in ganz Europa zu vertreiben. Die PIRA verstand sich auf diese Arbeit, und das
Drogenkartell zahlte gut.
Nach einiger Zeit war die PIRA dazu übergegangen, mit Eigenkapital aus Spendengeldern, die Noraid in den USA eingesammelt hatte, ins Drogengeschäft
einzusteigen. Dabei war es um große Summen gegangen; Kevs Zahlen zeigten, daß Sinn Féin jährlich Gewinne von über einer halben Million Pfund erzielt hatte.
Von diesen Spendengeldern war Kokain gekauft
worden, das nach Europa geschmuggelt und dort mit hohen Gewinnen weiterverkauft worden war; mit den Gewinnen aus dem Drogenhandel waren in Staaten des ehemaligen Ostblocks Waffen und Sprengstoff gekauft worden. Das war eine ideale Geschäftspartnerschaft: Die PIRA hatte das Geld, der Osten hatte die Waffen. Der Zerfall der UdSSR und der Aufstieg der russischen Mafia hätten zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können.
Aber damit durfte ich mich nicht länger beschäftigen.
Ich konnte nicht einfach dasitzen und lesen. Ich befand mich in einem Haus mit zwei Polizeibeamten und einem 461
kleinen Mädchen, das verständlicherweise stinksauer war. Ich warf die Diskette aus und steckte sie ein.
Die Hexe aus der
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