Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
falteten ihre Zeitungen zusammen und zogen die
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Reißverschlüsse ihres Bordgepäcks zu.
Ich stand auf und reckte mich. »Louise?«
»Ja?«
»Auf nach England!«
Wir strebten zum Ausgang: Vater und Tochter, Hand in Hand, unbefangen schwatzend. Meine Theorie war, daß keiner uns ansprechen würde, solange wir
miteinander redeten.
Vor uns in der Schlange standen vier oder fünf Leute, darunter ein Ehepaar mit kleinen Kindern. Die Pässe wurden von einem jungen Latino kontrolliert, der seinen Sicherheitsausweis an einer Kette um den Hals hängen hatte. Aber wir waren noch zu weit von ihm entfernt, als daß ich den Aufdruck hätte lesen können. Gehörte er zum Sicherheitsdienst des Flughafens oder der
Fluggesellschaft?
Zwei uniformierte Sicherheitsbeamte kamen dazu,
stellten sich hinter ihn und unterhielten sich halblaut. Ihre Plauderei wirkte so ungezwungen, daß ihre Natürlichkeit wahrscheinlich gespielt war. Ich wischte mir mit einem Jackenärmel unauffällig den Schweiß von der Stirn.
Die beiden Uniformierten waren bewaffnet. Jetzt
machte der Schwarze einen Scherz, über den der Weiße lachte, während er sich umsah. Kelly und ich rückten in der Schlange vor.
Ich hielt sie weiter wie ein besorgter Vater an der Hand. Der Laptop hing über meiner linken Schulter.
Kelly hatte ihre beiden Teddybären unter dem Arm.
Wir machten drei Schritte, warteten, rückten nochmals vor und standen vor dem Latino.
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Ich wollte ihm alles möglichst einfach machen und gab ihm lächelnd den Reisepaß und die Bordkarten. Ich war der Überzeugung, daß die Uniformierten mich musterten.
Deshalb verfiel ich in den Boxermodus: Ich konzentrierte mich völlig auf den jungen Latino; alles andere blieb außerhalb – gedämpft, verzerrt, peripher. Ein
Schweißtropfen lief mir über die Backe, und ich wußte, daß er ihn gesehen hatte. Ich wußte auch, daß er meine keuchenden Atemzüge hören konnte.
Kelly stand halb rechts hinter mir. Ich lächelte ihr zu.
»Sir?«
Ich atmete, aufs Schlimmste gefaßt, aus und sah ihn an.
»Nur den Paß, Sir.« Er gab mir die Bordkarten zurück.
Als unerfahrener Flugreisender grinste ich verlegen.
Er blätterte in dem Reisepaß und kam zu Sandborns Paßphoto, das er rasch mit meinem Gesicht verglich.
Jetzt bist du erledigt.
Ich zeigte ihm, daß ich seine Gedanken erriet.
»Männliche Wechseljahre«, behauptete ich grinsend und fuhr dabei mit einer Hand über mein kurzgeschorenes Haar. Meine Kopfhaut war schweißnaß. »Der Bruce-Willis-Look!«
Der Scheißkerl verzog keine Miene. Er überlegte noch.
Dann klappte er den Paß zu und hielt ihn mir wieder hin.
»Angenehmen Flug, Sir.«
Ich wollte mich mit einem Nicken bedanken, aber er wandte sich bereits den Leuten hinter uns zu.
Wir gingen ein paar Schritte weiter zu den Girls von Virgin und gaben unsere Bordkarten ab. Die beiden 503
Sicherheitsbeamten rührten sich nicht von der Stelle.
Als wir die Verbindungsbrücke zum Flugzeug
betraten, kam ich mir wie jemand vor, der durch
bauchtiefes Wasser zu rennen versucht hat und nun plötzlich am Strand ist.
Der Latino machte mir noch immer Sorgen. Ich mußte auf dem ganzen Weg in die Maschine an ihn denken. Erst als ich unsere Sitze gefunden, den Laptop im
Gepäckabteil verstaut, mich hingesetzt und nach dem Bordmagazin gegriffen hatte, holte ich tief Luft und atmete ganz langsam aus. Aber das war kein Seufzer der Erleichterung, sondern ich wollte mein Blut nur mit Sauerstoff anreichern. Nein, der Scheißkerl war nicht zufrieden gewesen. Er hatte Verdacht geschöpft, aber er hatte mir keine Fragen gestellt, mich nicht einmal nach meinem Namen gefragt. Wir waren vielleicht am Strand, aber wir hatten noch längst keinen trockenen Boden unter den Füßen.
Das Flugzeug füllte sich allmählich. Ich atmete tief weiter, um meinen Puls unter Kontrolle zu bekommen.
Das Kabinenpersonal war ständig in der Maschine
unterwegs. Ich rechnete jeden Augenblick damit, eine Stewardeß mit den beiden Sicherheitsbeamten im
Schlepptau auf uns zukommen zu sehen. Hier gab es nur einen Eingang, nur einen Ausgang. Eine Flucht war unmöglich. Während ich mir verschiedene Szenarien durch den Kopf gehen ließ, mußte ich einfach
akzeptieren, daß die Würfel gefallen waren. Ich war jetzt ein gewöhnlicher Fluggast und erlebte wieder das Gefühl, das ich in jeder Militär- oder Verkehrsmaschine hatte: Ich 504
war anderen Menschen ausgeliefert, konnte mein
Schicksal nicht in die eigenen Hände
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