Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
vermittelt, ist geradezu ansteckend.
Ich hoffte, daß Kerr und McGear ohne Umwege ins
Hotel fahren würden. Ich hoffte, daß sie brave Touristen spielen und den guten Eindruck, den sie bisher gemacht hatten, nicht dadurch verderben würden, daß sie nicht im Hotel auftauchten. Hätte ich eine Zielperson aus den Augen verloren, hätte ich überall dort nachgesehen, wo der Betreffende sein konnte: am Arbeitsplatz, im Pub, in der Schule seiner Kinder und sogar im Wettbüro. Ich 58
mußte möglichst viel über die beiden rausbekommen, denn sobald man sich in anderer Leute Gedanken
versetzen kann, weiß man auch, was sie voraussichtlich tun werden, und sogar, warum sie es tun werden. Über Kerr und McGear wußte ich bisher leider nur, daß sie gern Budweiser tranken und sich vermutlich nach einer Zigarette sehnten. Also würde ich mit dem Hotel
anfangen müssen.
Ich mußte einen Vorsprung gewinnen. Das würde
nicht allzu schwierig sein, denn für die Club Class verkehrt ein eigener Bus, der uns vor der großen Herde zum Terminal bringt. Aber da sie ein Taxi bestellt hatten, mußte ich zusehen, daß ich schnellstens eines bekam, wenn ich vor ihnen in der M Street sein wollte. Ich hätte bei Washington Flyer ein Taxi bestellen können, aber das hatte ich einmal unter ähnlichen Umständen in Warschau versucht, wo sich dann zwei Fahrer darum gestritten hatten, wer den ersten Wagen bekommen sollte – ich oder die Zielperson. Seit damals ging ich lieber an den Taxistand.
Ich verließ den Ankunftsbereich durch zwei große
Automatiktüren und trat in ein Hufeisen aus
Absperrgittern, hinter denen Angehörige und Chauffeure warteten, die Namensschilder hochhielten. Das Gedränge blieb hinter mir zurück, als ich mich nach links wandte und einer langen Rampe folgte, die in frühlingshafte Wärme und grellen Sonnenschein hinausführte.
Am Taxistand hatte sich eine Schlange gebildet. Als meine überschlägige Rechnung zeigte, daß mehr
Fahrgäste warteten, als Taxis verfügbar waren, ging ich 59
die Reihe entlang weiter und winkte dem letzten Fahrer mit einem Zwanzigdollarschein zu. Er grinste mit
Verschwörermiene und ließ mich rasch einsteigen.
Weitere zwanzig Dollar bewirkten, daß wir keine halbe Minute später vom Dulles Airport in Richtung Route 66
und Washington, D.C., fuhren.
Der Flughafen und seine Umgebung erinnerten mich
an einen High-Tech-Gewerbepark, so grün und gepflegt war dort alles beim Verlassen des Terminals hatte ich sogar einen See gesehen. Suburbia begann etwa fünfzehn Meilen vom Flughafen entfernt – hauptsächlich in Form von Siedlungsstreifen auf beiden Seiten der
Ringautobahn: weitläufige Wohngebiete mit hübschen Ziegel- und Holzhäusern, von denen viele sich noch im Bau befanden. Als an einer Ausfahrt Tyson’s Corner angezeigt war, verdrehte ich mir den Hals, um vielleicht Kevs Haus zu sehen. Ich konnte es nicht entdecken. Aber wie Euan gesagt hätte, sahen diese »Landhäuser«
ohnehin alle gleich aus.
Wir überquerten den Potomac River und fuhren in die Stadt der Monumente ein.
Das Westin in der M Street war ein typisches besseres amerikanisches Hotel: zweckmäßig, modern und sauber, aber völlig ohne Charakter. Ich betrat die Hotelhalle, orientierte mich und ging nach links zu einer etwas erhöhten Coffee Lounge hinauf, von der aus die
Rezeption und der einzige Ein- und Ausgang gut zu überblicken waren. Dort bestellte ich einen doppelten Espresso.
Bei der dritten Tasse kamen Kerr und McGear ganz
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entspannt wirkend durch die Drehtür herein. Sie gingen sofort zur Rezeption. Ich stellte meine Tasse ab, ließ einen Fünfer unter der Untertasse liegen und schlenderte in die Hotelhalle hinunter.
Es kam nur darauf an, den richtigen Zeitpunkt zu
wählen; an der Rezeption hatte sich eine kleine Schlange gebildet, aber das Hotel, das ebenso effizient wie seelenlos war, hatte jetzt mehr Personal hinter der Rezeption, als davor Gäste warteten.
Ich konnte nicht hören, was Kerr und McGear sagten, aber sie hatten offenbar ein Zimmer reserviert. Die Angestellte, die sie bediente, tippte auf einer Tastatur unter der Theke. Kerr gab ihr eine Kreditkarte, die sie durchs Lesegerät zog, und damit war für mich der
richtige Zeitpunkt gekommen. Man hat es einfacher, wenn man sich die benötigten Informationen auf diese Weise verschafft, als wenn man versucht, Leuten zu folgen, und ich hatte keine Lust, das Risiko einzugehen, mit den beiden im Aufzug nach oben zu fahren. Ich konnte
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