Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
sie sind fürs Westin in der M Street gebucht.«
»Gut, das ist in Ordnung. Vielen Dank.«
Jetzt mußte ich nur noch versuchen, vor den beiden im Hotel Westin zu sein. Alles schien planmäßig abzulaufen.
Oder die Scheißkerle hatten mich erkannt und
inszenierten ein Täuschungsmanöver.
Der Flug nach Heathrow wurde aufgerufen. Ich
beobachtete, wie sie aufstanden und sich in Bewegung setzten. Ich folgte ihnen.
Bei solchen Einsätzen fliegt man immer Club Class, damit man vorn im Flugzeug sitzt. So kann man
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wahlweise schon dasitzen und die an Bord Kommenden beobachten oder sie vorausgehen lassen und erst nach ihnen an Bord gehen. Nach der Landung kann man
abwarten, bis die Zielperson an einem vorbeikommt, um ihr zwanglos zu folgen, oder als einer der ersten von Bord gehen, damit man die Beschattung aufnehmen
kann, sobald die Zielperson das Ankunftsgebäude betritt.
Nach dem Start dachte ich an einen Drink, verzichtete aber doch darauf, weil ich nicht wußte, was mich in Heathrow erwartete. Diese beiden Jungs wirkten
hellwach und professionell, so daß nicht zu erwarten war, daß sie nach dem vielen Budweiser, das sie getrunken hatten, irgend etwas unternehmen würden. Trotzdem wollte ich mir lieber keinen Drink genehmigen.
Ich machte es mir in meinem Sessel bequem und
begann, über Kev und seine Familie nachzudenken. Ich war dabeigewesen, als er Marsha kennengelernt hatte, ich war bei ihrer Hochzeit der Brautführer gewesen, und ich war sogar der Taufpate ihrer zweiten Tochter Aida.
Diesen Job nahm ich ernst, obwohl ich nicht recht wußte, wie ich dazu beitragen sollte, sie im christlichen Geist zu erziehen.
Ich wußte, daß ich niemals eigene Kinder haben
würde; ich würde viel zu beschäftigt sein, herumrennen und beschissene Aufträge wie diesen ausfuhren. Kev und Marsha wußten das ebenfalls, deshalb bemühten sie sich wirklich, mir das Gefühl zu vermitteln, ich gehörte bei ihnen dazu. Ich hatte früher oft von einer idealen Familie geträumt, und aus meiner Sicht besaß Kev sie. Seine erste Ehe war aus nicht recht erklärlichen Gründen in die 56
Brüche gegangen; diese zweite schien wunderbar zu funktionieren. Sein neuer Job bei der DEA bedeutete, daß er meistens in Washington am Schreibtisch saß und so mehr Zeit für die Familie hatte. Und da Marsha sehr vernünftig und sensibel war, ergänzten die beiden sich im familiären Bereich geradezu ideal.
Obwohl in ihrem Haus in Tyson’s Corner eine
gesunde, liebevolle Atmosphäre herrschte, wurde sie mir bei jedem Besuch nach drei bis vier Tagen zuviel, so daß ich abreisen mußte. Sie nahmen meine Eigenart mit gutmütigem Spott hin; sie wußten, daß ich sie liebte, es jedoch irgendwie nicht ertragen konnte, wenn Menschen sich soviel Zuneigung erwiesen. Vermutlich war mir deshalb Euans Gesellschaft schon immer am liebsten gewesen. Wir waren aus demselben Holz geschnitzt.
Und Slack Pat? Als er den Job als Leibwächter in
Washington angenommen hatte, war eine Maklerin mit ihm nach Georgetown gefahren, um ihm ein Apartment in der Nähe der Universität zu zeigen. Seiner Erzählung nach sahen sie dort ein Gebäude, in dem viele Leute ein und aus gingen.
»Was ist das dort drüben?« fragte er.
»Eines der besten Restaurants der Stadt«, antwortete sie. »Jeder zweite Abgeordnete oder Senator scheint dort Stammgast zu sein.«
»Genau das richtige Lokal für mich«, meinte Pat. Ich wußte, daß er fast jeden Tag dort gegessen und alle Bedienungen mit Namen gekannt hatte. Er hatte sogar angefangen, mit einer von ihnen auszugehen. Vielleicht hatte sie ihn dazu verführt, Drogen zu nehmen. Ich hatte 57
gerüchteweise gehört, er habe ein Drogenproblem. Das machte mich traurig. Bei unserem Einsatz in Kolumbien hatten wir alle die Folgen der Drogensucht
kennengelernt. Pat hatte diese Leute als Verlierer bezeichnet; jetzt schien er selbst einer zu sein.
Hoffentlich war auch das nur eine seiner Phasen.
3
Der Transfer in Heathrow hatte problemlos geklappt. Die beiden Jungs wurden bei keiner Sicherheitskontrolle aufgehalten – vermutlich weil die Flughafenpolizei informiert war –, und die Maschine nach Washington war pünktlich gestartet.
Als wir jetzt mit dem Landeanflug begannen, legte ich meinen Gurt an, stellte die Sitzlehne senkrecht und blickte aus dem Fenster auf Amerika hinunter. Dieses Bild versetzte mich wie immer in gute Stimmung. Das Gefühl von Offenheit und Weiträumigkeit, von
unbegrenzten Möglichkeiten, das dieses Land
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