Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
weit offenstehen. Dieser Spalt war 76
jedoch zu schmal, um viel erkennen zu können. Ich stieß die Tür zögernd etwas weiter auf, schob mich um den Rahmen und konnte nun Marsha sehen. Sie war tot. Sie kniete vor dem Doppelbett, auf dem ihr Oberkörper mit ausgebreiteten Armen ruhte. Die Tagesdecke war mit Blut getränkt.
Ich sank im Flur auf die Knie und spürte, daß ich im Begriff war, in einen Schockzustand zu verfallen. Mein Verstand weigerte sich, das Gesehene zu begreifen.
Wieso war das dieser Familie zugestoßen? Warum war auch Marsha ermordet worden? Wer es auf Kev
abgesehen hatte, hätte sich damit begnügen sollen, ihn umzulegen. Ich hätte am liebsten meine Pistole aus der Hand gelegt und wäre in Tränen ausgebrochen, aber ich wußte, daß die Kinder im Haus gewesen waren; sie
konnten noch irgendwo sein.
Ich riß mich zusammen, kam wieder auf die Beine und setzte mich in Bewegung. Ich betrat das Zimmer und zwang mich dazu, Marsha zu ignorieren.
Der nächste Raum war das dazugehörige Bad. Ich
schob mich durch die Tür, und was ich dort sah, gab mir den Rest. Ich stolperte rückwärts gegen die Wand, sackte langsam zusammen und blieb auf dem Fußboden sitzen.
Aida lag zwischen Wanne und Klosett auf den
Bodenfliesen. Irgend jemand hatte der Fünfjährigen fast den Kopf vom Rumpf getrennt. Ihr Hals war bis zu den Wirbeln durchgeschnitten, die den Kopf noch hielten.
Überall war Blut. Ich bekam es aufs Hemd und an die Hände; ich saß in einer Lache, die meinen Hosenboden durchnäßte.
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Als ich mich abwandte und dabei ins Schlafzimmer
sah, hatte ich Marsha genau vor mir. Ich mußte mich beherrschen, um nicht entsetzt aufzuschreien. Ihr Kleid hing glatt herunter, aber ihre Strumpfhose war zerfetzt, und ihr Slip war heruntergerissen. Aus etwa fünf Metern Entfernung sah ich eine Frau, die ich sehr gern gehabt, vielleicht sogar geliebt hatte, vor dem Bett knien, das mit ihrem Blut getränkt war. Und sie war auf die gleiche Weise ermordet worden wie Aida.
Ich atmete mehrmals tief durch und fuhr mir mit dem linken Handrücken über die Augen. Ich wußte, daß ich noch zwei Räume zu kontrollieren hatte: ein weiteres Bad und den großen Anbau über der Garage. Ich durfte jetzt nicht aufgeben, weil ich sonst Gefahr lief, selbst umgelegt zu werden.
Nachdem ich festgestellt hatte, daß in den anderen Räumen niemand war, hatte ich eine Pause nötig, und ich hockte mich auf die oberste Treppenstufe. Überall auf dem Teppich konnte ich meine blutigen Schuhabdrücke sehen.
Ganz ruhig, reiß dich zusammen, denk nach.
Was noch? Kelly. Wo zum Teufel war Kelly?
Dann fiel mir das Versteck ein. Weil Kev durch seinen Beruf gefährdet war und schon mehrmals
Morddrohungen erhalten hatte, wußten die beiden
Mädchen, wo sie sich verstecken mußten, falls im Haus irgend etwas passierte.
Dieser Gedanke brachte mich wieder zur Besinnung.
War Kelly dort, war sie vorläufig sicher. Und es war besser, sie in ihrem Versteck zu lassen, während ich 78
erledigte, was ich tun mußte.
Ich stand auf und ging langsam die Treppe hinunter, wobei ich darauf achtete, meine Pistole schußbereit zu halten. Wo ich gesessen und mich an die Wand gelehnt hatte, waren Blutflecken zurückgeblieben. Ich wünschte mir fast, die Angreifer würden irgendwo auftauchen. Ich wollte die Scheißkerle sehen.
Ich holte mir ein Wischtuch und einen Müllsack aus der Küche, lief durchs Haus und wischte alle Türknöpfe und sonstigen Flächen ab, an denen meine
Fingerabdrücke zurückgeblieben sein könnten. Dann ging ich zur Verandatür und zog die Vorhänge zu. Ich wollte nicht, daß jemand fremde Fingerabdrücke entdeckte, bevor ich das Haus lange verlassen hatte und hoffentlich bereits im Flugzeug nach London saß.
Zwischendurch sah ich zu Kev hinüber und merkte,
daß ich mich wieder gefangen hatte. Er war jetzt nur eine Leiche.
Ich ging nach oben, wusch mir im zweiten Bad das
Blut von Gesicht und Händen und holte mir aus Kevs Kleiderschrank ein sauberes Hemd, eine Jeans und
Sportschuhe. Seine Sachen paßten mir nicht besonders gut, aber sie würden fürs erste genügen müssen. Meine blutbefleckten Kleidungsstücke stopfte ich in den Müllsack, den ich mitgenommen hatte.
5
Kev hatte mir die »Räuberhöhle«, wie er das Versteck für 79
die Mädchen scherzhaft genannt hatte, einmal gezeigt: Unter der auf den Dachboden über der Garage
hinaufführenden Treppe befand sich ein winziger Raum.
Falls Kev oder Marsha irgendwann
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