Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
fürchte ich, aber als ich vorhin mit ihnen gesprochen habe, haben sie mir aufgetragen, dir zu sagen, daß sie dich lieben, daß du ihnen sehr fehlst und daß du ein braves Mädchen sein und alles tun sollst, was ich dir sage.«
Kelly lächelte strahlend. Sie glaubte mir anscheinend jedes Wort, und ich wünschte mir, ich hätte den Mut, ihr die Wahrheit zu sagen.
»Kelly, du mußt tun, was ich dir sage, ist das klar?«
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fragte ich.
»Ja, natürlich.«
Sie nickte eifrig, und ich sah ein kleines Mädchen, das Zuneigung brauchte.
Ich versuchte mir ein Lächeln abzuringen. »Also, denk daran, daß ich jetzt eine Weile für dich verantwortlich bin.« Ich sah ihr in die Augen. »Los, komm, wir sehen uns die Power Rangers an!«
Während wir beide mit einer Dose Mountain Dew vor dem Fernseher saßen, ging mir die Nachrichtensendung nicht mehr aus dem Kopf. Kellys Photo war im
Fernsehen gezeigt worden. Die Empfangsdame, die
Textilverkäuferin, alle möglichen Leute konnten sich an sie erinnern. Inzwischen hatte die Botschaft bestimmt längst mit London telefoniert; was passiert war, wußte jeder, der die Fernsehnachrichten gesehen hatte. Folglich brauchte ich nicht drei Stunden zu warten, bevor ich London erneut anrief.
Ich würde wieder aus der Telefonzelle anrufen
müssen, weil Kelly dieses Gespräch nicht mitbekommen sollte. Ich zog Kevs Jacke an, steckte unauffällig die Fernbedienung ein, erklärte Kelly, wohin ich wollte, und ging.
Als ich die Außentreppe beim Cola-Automaten
erreichte, sah ich nach unten. Vor dem Hoteleingang standen zwei Limousinen. Beide waren unbesetzt, aber die Autotüren standen noch offen, als seien die Insassen in größter Eile ausgestiegen.
Ich sah genauer hin. Außer den üblichen
Radioantennen hatten beide Wagen je eine lange
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Funkantenne oberhalb der Heckscheibe montiert. Einer war ein weißer Ford Taunus, der andere ein blauer Caprice.
Mir blieb keine Zeit für lange Überlegungen; ich
konnte nur auf dem Absatz kehrtmachen und wie ein Besessener zur Feuertreppe auf der Rückseite des
Gebäudes rennen.
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Ich hatte keine Zeit, mir Gedanken darüber zu machen, wie sie uns gefunden hatten. Während ich den Gang entlanghastete, überlegte ich mir, welche Möglichkeiten sich mir boten. Die einfachste Lösung wäre natürlich gewesen, Kelly im Zimmer zu lassen, damit sie abgeholt wurde. Sie hing mir wie ein Mühlstein am Hals. Ohne sie hatte ich eine gute Chance, den Verfolgern zu
entkommen.
Warum blieb ich also stehen? Das wußte ich selbst nicht so recht, aber mein Instinkt sagte mir, sie müsse mitkommen.
Ich rannte zurück und stürmte ins Zimmer. »Kelly, wir müssen weg! Los, los, aufstehen!«
Sie war eben dabei gewesen einzunicken. Auf ihrem Gesicht erschien ein erschrockener Ausdruck, weil mein Tonfall sich so verändert hatte.
»Komm, wir müssen weg!«
Ich griff nach ihrer Jacke, nahm Kelly auf den Arm und hastete mit ihr zur Tür. Unterwegs hob ich ihre 109
Schuhe auf und stopfte sie in meine Tasche. Kelly stieß einen halb ängstlichen, halb protestierenden Laut aus.
»Gut festhalten!« forderte ich sie auf. Ihre Beine umklammerten meine Taille. Ich trat auf den Gang
hinaus. Als ich die Tür hinter mir zuzog, wurde sie automatisch verriegelt. Wer in unser Zimmer eindringen wollte, würde sie aufbrechen müssen. Ein rascher Blick den Flur entlang zeigte mir, daß noch niemand
heraufgekommen war. Ich machte mir nicht die Mühe, von der Treppe aus nach unten zu sehen. Falls die Verfolger mir auf den Fersen waren, würde ich das früh genug merken.
Ich wandte mich nach links, rannte bis zum Ende des Korridors, bog wieder links ab und hatte den Notausgang vor mir. Ich drückte den Griff herunter und stieß die Tür auf. Vor uns an der Rückseite des Hotels befand sich ein offenes Treppenhaus aus Stahlbeton, von dem aus in etwa einer Viertelmeile Entfernung das Einkaufszentrum zu sehen war.
Kelly begann zu weinen. Ich hatte keine Zeit, ihr gut zuzureden. Statt dessen griff ich mit einer Hand unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht zu meinem hoch. »Eben sind Leute gekommen, die dich mir wegnehmen wollen,
verstehst du?« Ich wußte, daß sie das ängstigen und wahrscheinlich noch mehr verwirren würde, aber das war mir im Augenblick gleichgültig. »Ich versuche bloß, dich zu retten. Halt die Klappe und tu, was ich dir sage.«
Meine Hand umfaßte ihr Kinn noch fester und
schüttelte ihren Kopf. »Hast du verstanden, Kelly? Halt die Klappe und laß ja
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