Nick Stone - 04 - Eingekreist
Erde getroffen hat, richtig?«
Ich nickte, als wüsste ich das. In Wirklichkeit hatte ich meine Kindheit nicht gerade im Naturkundemuseum verbracht.
»Genau, aber dieses sechste Artensterben hat keine
natürlichen Ursachen; es findet durch unsere Schuld statt – wir sind die Vernichtungsspezies. Und es gibt keinen Jurassic Park, wir können sie nicht wieder
herbeizaubern, wenn sie verschwunden sind. Wir
müssen sie jetzt retten.«
Ich äußerte mich nicht dazu, sondern blickte in die Ferne, während Carrie trank und um uns herum eine
Million Grillen zirpten.
»Hören Sie, Nick, ich weiß, dass Sie uns für Spinner, für irgendwelche verrückten Weltverbesserer halten, aber …«
Ich sah zu ihr hinüber. »Ich denke nichts
dergleichen …«
»Egal«, unterbrach sie mich mit erhobener Hand und
358
einem Lächeln, als sie mir die Wasserflasche zurückgab.
»Bleiben wir bei den Tatsachen: Bisher sind noch nicht alle Pflanzenarten der Welt identifiziert, stimmt’s?«
»Wenn Sie’s sagen.«
Wir grinsten uns an.
»Das sage ich. Und wir verlieren sie schneller, als wir sie katalogisieren können, stimmt’s?«
»Wenn Sie’s sagen.«
»Das tue ich. Und dazu sind wir hier – um noch
unbekannte Pflanzenarten zu finden. Wir bringen
Einzelstücke aus dem Dschungel mit, kultivieren sie und schicken der Universität Musterexemplare. Viele
unserer Medikamente basieren auf diesen Pflanzen dort drüben. Mit jeder Spezies, die ausstirbt, verlieren wir ein potenzielles Mittel gegen Aids, Alzheimer, Multiple Sklerose, was auch immer. Und jetzt kommt der coole Teil. Sind Sie bereit?«
Ich rieb mir meine schmerzende Wade und wusste,
dass ich ihn auf jeden Fall zu hören bekommen würde.
»Die Pharmakonzerne gewähren der Universität
Forschungsmittel, damit sie in ihrem Auftrag neue
Spezies findet und testet. Also betreiben wir hier eine Form des Naturschutzes, die sich sogar geschäftlich rechnet.« Sie nickte selbstgefällig, dann betrachtete sie ihre Fingernägel. »Aber trotzdem drehen sie uns
nächstes Jahr den Geldhahn zu. Wir leisten wie gesagt großartige Arbeit, aber sie wollen für ihre Bucks rasche Erfolge sehen. Vielleicht sind also doch nicht wir die Spinner, was?«
Carrie blickte wieder zu den Pflanzkübeln hinüber.
359
Ihr Gesichtsausdruck war nicht mehr ernst oder
glücklich, sondern nur noch traurig. Ich merkte, dass es mir gefiel, gemeinsam mit ihr zu schweigen.
»Wie vereinbaren Sie das, was Sie hier tun, mit dem, was Sie für mich tun?«, fragte ich schließlich. »Ich meine, das passt irgendwie nicht recht zusammen, nicht wahr?«
Sie wandte sich mir nicht zu, sondern starrte weiter die Pflanzkübel an. »Oh, das würde ich nicht behaupten.
Vor allem nützt es mir in Bezug auf Luz.«
»Wie das?«
»Aaron ist zu alt, um sich anzupassen, und es ist so verdammt schwierig, hier zu Lande etwas zu erreichen.«
Ich hatte einen Augenblick lang das Gefühl, sie werde gleich erröten. »Also hat mein Vater mir einen
amerikanischen Pass für sie angeboten, wenn wir ihm helfen – das ist der Deal. Manchmal tun wir falsche Dinge aus richtigen Gründen, nicht wahr, Nick Wie-immer-Sie-heißen?« Sie wandte sich mir zu und atmete tief durch.
Was sie hatte hinzufügen wollen, blieb ungesagt, und sie blickte wieder zum Waldrand hinüber, wo ein
riesiger Schwarm sperlingsgroßer Vögel laut tschilpend aufflog.
»Aaron ist nicht damit einverstanden, dass wir das
tun. Wir streiten uns oft darüber. Er wollte weiter darum kämpfen, Luz adoptieren zu dürfen. Aber dafür reicht die Zeit nicht, wir müssen nach Boston zurück.
Dort ist meine Mutter nach der Scheidung wieder
hingezogen. George ist in Washington geblieben und
360
tut dort, was er immer getan hat.« Sie machte eine
Pause, bevor sie vom Thema abschweifte. »Wissen Sie, ich habe erst nach der Scheidung entdeckt, wie mächtig mein Vater ist. Sogar die Clintons nennen ihn George.
Nur schade, dass er nicht einen Teil seiner Energie darauf verwendet hat, sein Privatleben zu retten.
Eigentlich eine Ironie des Schicksals, dass Aaron ihm in so vielen Dingen ähnlich ist …«
»Warum gehen Sie nach so langer Zeit von hier weg
– weil Ihnen die Forschungsmittel gestrichen werden?«
»Nicht nur deshalb. Die Situation hier unten
verschlechtert sich stetig. Und wir müssen auch an Luz denken. Für sie heißt’s bald High School, dann College.
Sie muss anfangen, ein normales Leben zu führen. Mit Freunden, die heimlich mit anderen
Weitere Kostenlose Bücher