Nick Stone - 04 - Eingekreist
wie es Kinder tun, wenn sie sich
langweilen – meine waren immer voll geschmiert
gewesen. Ihr Name wurde »Luz« geschrieben. Wie ich
aus meiner Zeit in Kolumbien wusste, wurde das
spanische Z wie S ausgesprochen. Also war ihr Name
keineswegs eine Verkleinerungsform von Lucy, sondern bedeutete im Spanischen »Licht«.
Ich konnte spüren, dass ich in klebrigem Schweiß
gebadet war, als ich den Wohnraum betrat und mich
davon überzeugte, dass ihre Schlafzimmertür
geschlossen war, bevor ich den Lichtschalter aus
Messing neben der Tür betätigte.
Der Raum wurde von drei nackten Glühbirnen
beleuchtet, deren weiße Zuleitungen mit U-Haken an die Deckenbalken genagelt waren. Der abgestoßene
Gasherd war ein weiß emailliertes altes Ding mit einer 293
Bratröhre ohne Sichtfenster und drei Kochstellen. Auf der Arbeitsplatte daneben stand eine altmodische
Kaffeemaschine, und am Kühlschrank waren mit
Magneten mehrere Familienfotos befestigt.
Vervollständigt wurde die Kücheneinrichtung durch
einen Esstisch mit weißer Resopalplatte und vier weiße Stühle im typischen Sechzigerjahredesign, die ganz und gar nicht in eine Welt aus dunklen Harthölzern passten.
Ich riss zwei Bananen von der Staude neben der
Schale mit den Orangen ab und betrachtete die Fotos am Kühlschrank, während mein Rücken mich daran
erinnerte, dass die Insektenstiche sich entzündet hatten.
Die Farbfotos zeigten die Familie bei Spaß und Spiel im Haus und mehrfach einen älteren Kerl in einem weißen Polohemd, der einmal mit Luz Händchen haltend auf der Veranda stand.
Als ich die Schale meiner zweiten Banane abzog, fiel mein Blick auf ein verblasstes Schwarzweißfoto von fünf Männern. Einer von ihnen war eindeutig der ältere Kerl, den ich von anderen Fotos mit Luz kannte. Alle fünf standen in Badehosen am Strand und hielten Babys in durchweichten Windeln und mit Sonnenhüten für die
Kamera hoch. Der Mann ganz links hatte eine große
kreisförmige Narbe am Bauch.
Ich beugte mich nach vorn, um ihn genauer in
Augenschein zu nehmen. Damals war sein Haar noch
dunkler gewesen, aber die Ähnlichkeit war
unverkennbar. Das lange Gesicht und der drahtige
Körper gehörten dem Pizzamann.
Ich riss noch ein paar Bananen von der Staude,
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schlenderte damit zum Couchtisch hinüber, widerstand der Versuchung, mir den Rücken aufzukratzen, und
bemühte mich, keinen Lärm zu machen.
Ich stellte die Wasserflasche hin und mampfte meine Bananen. Die Hartholzscheibe, aus der die Tischplatte bestand, war gut fünfzehn Zentimeter dick, und obwohl ihre Oberseite poliert war, trug der Rand noch die
ursprüngliche Rinde. Auf dem Couchtisch lagen
zerlesene Exemplare des Magazins Time , einige Nummern des Miami Herald , mir unbekannte spanische Hochglanzmagazine und eine Teenagerzeitschrift mit
einer Boy Band auf dem Titel.
Während ich langsam die Bananen aufaß, ließ ich
meinen Blick über die Bücherregale gleiten, in denen gebundene Bücher, Taschenbücher, große Bildbände
und sorgfältig gefaltete Karten standen. Die
abgegriffenen Einbände enthielten alles von
Naturgeschichte bis Mark Twain, ziemlich viel über
amerikanische Politikgeschichte und sogar einen Harry Potter. Aber die weitaus meisten Bücher schienen
gewichtige wissenschaftliche Werke über Regenwälder, globale Erwärmung und die Flora und Fauna
Mittelamerikas zu sein. Ich sah genauer hin. Zwei davon hatte Aaron geschrieben.
Eines der Regalbretter war für vier Sturmlaternen
reserviert, die mit bereits geschwärzten Dochten und mehreren Schachteln Zündhölzern wie Soldaten
aufgereiht dastanden und auf den nächsten Stromausfall zu warten schienen. Auf dem Brett darunter standen
zwei Silberleuchter und ein Silberkelch neben einigen 295
Lederbänden mit hebräisch beschrifteten Rücken.
Ich trank mein Wasser aus, stand auf, warf die
Bananenschalen in den Komposteimer unter dem
Ausguss und machte mich auf den Weg zu dem
Feldbett. Ich hatte lange geschlafen, aber mein Körper verlangte nach mehr.
Als ich die Augen öffnete, hörte ich das
Stromaggregat und einen Automotor. Auf dem Weg zu
der ins Freie führenden Tür stolperte ich über den
Erste-Hilfe-Koffer.
Greller Sonnenschein blendete mich, und ich kam
gerade noch rechtzeitig, um den Mazda unter den
Bäumen verschwinden zu sehen. Als ich eine Hand über die Augen hielt, um sie vor der Sonne zu schützen, sah ich Carrie vor dem Haus stehen. Sie wandte sich mir zu, aber ich konnte nicht
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