Nie mehr ohne deine Küsse
blinkte, lächelte sie. TJs Wiedereingliederung ins normale Leben nach der Entlassung aus der Vollzugsanstalt war nicht einfach gewesen. Aber es schien, als hätte sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden. Ihre letzte E-Mail war voller Neuigkeiten gewesen. Sie hatte einen neuen Job und einen neuen Freund. Diesmal sei der Mann ein ‚Vernünftiger‘ hatte TJ geschrieben.
Die neue Nachricht in Lilys Postfach bestand lediglich aus drei Zeilen.
Er sucht dich. Er weiß nicht, wo du bist,
und ich hab ihm gesagt, dass ich es auch
nicht weiß. Er hat auch Jerry kontaktiert.
Lily spürte, wie sich ihr der Magen umdrehte. Nur mit Mühe schaffte sie es, ruhig ein- und auszuatmen. Ich bin jetzt erwachsen. Dad kann mir nichts mehr antun. Ihr war immer bewusst gewesen, dass ihr Vater nach ihr suchen würde. Schließlich brauchte er sie für all die Dinge, zu denen er nicht in der Lage war. Oder für die er einfach zu faul war. Dazu kam noch das Geld, das sie ihm schuldete. Er war sicher am Durchdrehen, weil er nicht wusste, wo sie steckte.
Ihr Vater hasste es, wenn ihm jemand einen Strich durch die Rechnung machte.
Und Jerry? Jerry hatte sie bei ihrem Plan, Mississippi zu verlassen, so gut sie konnte unterstützt. Mit einem Lächeln hatte sie ihre Papiere unterschrieben und sie als ihren bisher größten Erfolg im Rahmen des Resozialisierungsprogramms bezeichnet.
Auch der Bewährungshelfer hatte zugestimmt. Und so waren die Akten mit Lilys Jugendstrafen versiegelt worden. Strahlend vor Glück und mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung hatte Lily das Jugendgefängnis und die Stadt verlassen.
Weder Jerry noch TJ würden sie verraten. Beide wussten genau, was für ein Mann ihr Vater war. Trotzdem versetzte es sie in Panik, dass er bereits so weit war, ihre alten Freunde und ihre Sozialarbeiterin aufzusuchen.
Verdammt aber auch! Sie wollte nicht mehr an ihre Vergangenheit erinnert werden.
Frustriert loggte Lily sich aus und zahlte bei Judith, die sie besorgt darauf hinwies, dass sie blass aussähe, und fragte, ob sie sich hinsetzen wolle. Lily versicherte ihr, dass alles in Ordnung war, und beeilte sich, die Bücherei zu verlassen und eine Telefonzelle zu finden. Zwei Blocks weiter fand sie schließlich eine und warf ein paar Cent ein.
TJ ging beim dritten Klingeln ran. Ihre Stimme klang seltsam belegt und undeutlich. Verflucht. Wenn TJ wieder trank …
„Hier ist Lily.“
„Schätzchen! Wie geht es dir?“
„Mir geht’s gut. Sehr gut sogar. Und dir ?“, erkundigte sich Lily angespannt.
„Könnte nicht besser sein, Schätzchen.“
Das bedeutete nichts Gutes. So etwas würde TJ nur sagen, wenn sie betrunken war.
„Hast du Jerry in letzter Zeit gesehen?“
„Klar. Sie ist immer noch verdammt stolz auf dich. Du bist jetzt das große Vorbild für all die Neuen. Sie hat mir erzählt, dass dein Vater ihr ’nen Besuch abgestattet hat. Das hat mir echt Angst gemacht.“
„Um meinen Vater mache ich mir weniger Sorgen. Aber was ist mit dir?“
„Mir geht’s gut Lily, alles in Ordnung.“
„Du klingst aber nicht so.“
„Ach, es ist alles beim Alten. Hier gibt’s doch nie was Neues, das weißt du doch.“
Genau das war es, was Lily befürchtet hatte.
TJ seufzte. „ Deine letzte E-Mail hat aber richtig gut geklungen. Du scheinst was aus dir gemacht zu haben. Manchmal denk ich, ich hätt’ mitgehen sollen.“
„Das hättest du. Und du könntest immer noch gehen. Mach deinen eigenen Neuanfang!“
„Ach nee. Mir geht’s doch gut. Übrigens: Ich hab Neuigkeiten für dich. Roger und ich werden heiraten.“
Besorgt rieb sich Lily mit der Hand übers Gesicht. Rogers Drogensucht war nun wirklich das Letzte, was TJ brauchte. Sie wusste jedoch genau, dass sie auf taube Ohren stoßen würde, wenn sie in irgendeiner Weise versuchte, es TJ auszureden.
„Wow. Dann wünsch ich euch beiden alles Gute“, presste sie stattdessen hervor.
„Ich würde dich ja gern zur Hochzeit einladen, aber ich weiß ja, dass du nicht kommen kannst.“
„Ja, das ist sehr schade.“
„Dein Vater war richtig wütend. Angeblich hat er kein Dach über dem Kopf, seit er raus ist.“
Auch das noch.
„Ich hab ihm geschrieben, dass Sid seinen ganzen Kram im Keller für ihn aufbewahrt“, antwortete Lily aufgebracht.
„Ja, trotzdem hat die Bank seinen Wohnwagen einbehalten. Und er meinte, du hättest ihm Geld geklaut.“
Das Geld gehörte ihr genauso wie ihm. Sie fühlte sich nicht schuldig, dass sie es genommen hatte.
„Nun,
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