Nie Wirst Du Entkommen
so tonlos, dass Aidan die Haare zu Berge standen. »Sie war einkaufen, als mein Vater schlief. Als sie wiederkam, war er weg.«
Freitag, 17. März, 17.00 Uhr
E s war dunkel. Und sie konnte sich noch immer nicht bewegen.
Ich bin gelähmt.
Aber wenn sie gelähmt wäre, hätte sie keinen Schmerz spüren können. Sie hätte gar nichts spüren dürfen, aber dem war nicht so. Alles tat ihr weh, ihr ganzer Körper. Nach und nach erwachten ihre Sinne. Es war nicht dunkel, sondern sie trug eine Binde über den Augen.
Und ich bin nicht gelähmt.
Ihre Hände und Füße waren gefesselt, ein Knebel steckte in ihrem Mund.
Gefesselt. Geknebelt.
Er hat mich erwischt.
Sie hatte Angst.
Und wie. Und ich bin allein.
Ihr Rücken schmerzte von der gekrümmten Position, in der sie lag. Sie hörte ein schwaches Stöhnen zu ihrer Rechten.
Ich bin nicht allein.
Ihr Schädel pochte, und ihr Herz hämmerte so heftig, dass es wehtat. Sie holte durch die Nase Luft und roch modrige Erde. War sie draußen? Nein, es war nicht kalt genug
. Was ist passiert?
Sie konnte sich noch erinnern, dass sie mit Amy im Auto gewesen war. Wo war Amy? War sie verletzt? War das Amys Stöhnen gewesen?
Eine Tür öffnete sich, und Tess versteifte sich. Wartete. Schritte auf hartem Boden. Wieder hörte sie das Stöhnen, und plötzlich ein Schnalzen.
»Du bist also wach, alter Mann.«
Beim Klang der vertrauten Stimme setzte Tess’ rasendes Herz aus, und der Schock sandte ihr einen Schauder durch den ganzen Körper. Fassungslosigkeit machte sich in ihr breit. Das konnte doch nicht sein. Es war nur wieder die Imitation einer bekannten Stimme. Oder ein Alptraum.
Bitte lass es ein Alptraum sein.
Ein schrecklicher Alptraum. Aber ein sehr realer Fuß trat ihr in den Rücken und entlockte ihr ein sehr reales Stöhnen.
»Du bist also auch wach. Dann kann unsere kleine Familienzusammenführung ja beginnen.«
Die Binde über ihren Augen wurde fester gezogen, dann war sie plötzlich weg, und Tess starrte in die Augen, denen sie so viele Jahre lang vorbehaltlos vertraut hatte. Nun funkelten sie hell. Grausam. Krank. Entsetzen packte sie, und sie konnte nicht mehr wegsehen.
Lieber Gott.
Amys Lächeln verwandelte ihr Blut zu Eis. »Ich habe dir doch gesagt, dass alles gut sein wird, wenn du aufwachst. Schau, Daddy ist hier.«
Betäubt drehte Tess den Kopf zur Seite. Ihr Vater lag zusammengerollt neben ihr, die Augen geschlossen, den Kopf nur Zentimeter von ihrem entfernt. Ihr Blick suchte die Umgebung ab. Sie befand sich in einer Art Schrank. Klein, beengt. Kalter Schweiß trat ihr auf die Haut, und sie spürte, wie Übelkeit in ihr aufstieg. Ein Wimmern kam aus ihrer Kehle, und wieder lächelte Amy.
»Ein kleines Kämmerchen. Du fragst dich wahrscheinlich, was mit dir passieren soll.«
Tess konnte sie nur ansehen.
»Und du denkst, die ist ja verrückt.« Amy packte ihr Haar und riss ihren Kopf hoch. Ihre Augen blickten nun eiskalt. Grob schüttelte sie Tess. »Nicht wahr?« Sie ließ Tess’ Kopf mit einem Ruck los, und er krachte auf den harten Boden, aber Tess spürte erstaunlich wenig. Sie fühlte sich … losgelöst. Als würde sie im Nichts treiben.
»Der Tranquilizer wirkt noch. Weißt du, dieser ganze Quatsch mit deiner Gesundheit, Joggen, Aspirin, ein Glas Rotwein – alles unnötig. Du bist stark wie ein Ochse. Wenn das Beruhigungsmittel dich nicht umgebracht hat, dann schafft das nichts und niemand.« Sie öffnete die Tür, dann lachte sie. »Nein, stimmt nicht. Ich schaffe das schon. Aber ich will, dass du ganz bei dir bist, wenn ich das tue. Ich will, dass du alles spürst.« Dann schloss sie die Tür und ließ Tess zurück. Eine erstarrte, entsetzte, hilflose Tess.
Ihr Vater stöhnte wieder.
Ich muss ihn hier rausschaffen.
Er wird sterben. Dann stieg ein entsetztes Lachen in ihrer Kehle auf.
Natürlich wird er sterben. Und ich auch.
Freitag, 17. März, 17.15 Uhr
Aidan stand im Konferenzraum und starrte auf die weiße Tafel, während die Minuten in seinem Kopf vorbeitickten. Fünf Stunden schon. Die Tafel war über und über bedeckt mit Namen von Kunden, die er in Lawes Büchern gefunden hatte. Alles waren Firmen, die keinem anderen Zweck dienten, als eine Verbindung zu anderen Firmen herzustellen. Pfeile zeigten in alle Richtungen.
Mittendrin stand Deering, die mit Davis verbunden war, die mit Turner verbunden war, die wieder zu Deering zurückwies. Das Gewirr von Firmennamen roch nach Geldwäsche oder jemandem, der Aktivposten besaß oder
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