Nie Wirst Du Entkommen
Kopf bis Fuß. Dann fiel sein Blick auf den Schal um ihren Hals, und ihre Stimmung sank. Er wusste es, und das gefiel ihr irgendwie nicht.
»Dr. Ciccotelli«, sagte er mit weicher Stimme. »Danke, dass Sie hergekommen sind.«
»Das habe ich gestern ja schon angekündigt.« Sie nahm ihre Tasche. »Und ich tue immer, was ich sage.« Sie folgte ihm, doch als er am Fahrstuhl stehen blieb, zogen sich ihre Eingeweide zusammen. »Ich konnte heute Morgen nicht laufen.« Sie verzog das Gesicht. »Überall Reporter. Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir die Treppe nehmen?«
Er sah leicht verwirrt auf sie herab. »Die Technik, wo Sie ihre Stimmprobe abgeben sollen, befindet sich in der vierten.«
»Macht mir nichts.«
Sein Blick wurde weicher. »Dann los.«
»Haben Sie Ihre Anwältin angerufen?«, fragte er, als sie die erste Etage hinter sich hatten.
Dass es ihm so wichtig war, dass sie ihr Versprechen hielt, freute sie irgendwie. »Habe ich.« Amy war wach geblieben und hatte auf ihren Anruf gewartet. Und sich noch einmal bei ihr entschuldigt. Dennoch war die Unterhaltung steif geblieben, und keiner von beiden hatte das Thema ihrer beruflichen Beziehung angeschnitten. Vielleicht war es besser so. Amy und sie hatten schon viel zusammen durchgestanden. Ihre Freundschaft hatte einen herben Schlag erlitten und war zu kostbar, um aufs Spiel gesetzt zu werden. Es gab andere Verteidiger, wenn sie schließlich doch einen brauchen sollte. »Ich habe sie angerufen, nachdem ich den
Bulletin
weggescheucht habe.«
Reagan sah sie überrascht an. »Cyrus Bremin hat Sie aufgesucht?«
»Nein. Niemand so Berühmtes. Sie heißt Joanna Carmichael.«
»Ah. Die Fotografin. Kann ich Ihre Tasche nehmen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Sie kennen Joanna Carmichael?«
»Noch nicht. Wir haben sie überprüft, als wir gestern Morgen den Artikel in der Zeitung gesehen haben. Und wir sind bei ihr gewesen, um herauszufinden, ob sie noch mehr Tatort-Fotos geschossen hat.« Er zögerte, zuckte dann aber die Achseln. »Sie wohnt im selben Haus wie Cynthia Adams.«
»Also ist sie über die große Story gestolpert und musste sie dann an Cyrus Bremin abtreten. Kein Wunder, dass sie ein Exklusiv-Interview haben wollte.«
»Ein Exklusiv-Interview?« Er stieß ein kurzes Lachen aus, das im Treppenhaus widerhallte, während sie aufwärtsgingen. »Die muss total verrückt sein.« Er zog hastig den Kopf ein. »Tut mir leid. Das war nicht besonders taktvoll.«
Tess kicherte. »Schon okay. Ich habe ihr dasselbe gesagt, nur noch ein bisschen farbenprächtiger.«
»Ah? Wieder sprachliche Aussetzer?«
»Ich glaube, ich habe etwas im Zusammenhang mit Vaseline erwähnt.« Sie schnitt eine Grimasse. »Wahrscheinlich werde ich das bereuen.«
Sie gelangten im vierten Stock an, und er hielt ihr die Tür auf. Ein kurzer Marsch brachte sie zum Tonstudio, wo die ganze, an diesem Fall beteiligte Belegschaft zu warten schien. Spinnelli, Patrick Hurst und Murphy standen vor der Glasscheibe zum Studio, während Jack drinnen mit einem Techniker sprach. »Ich singe also vor großem Publikum«, sagte sie aufgesetzt fröhlich, und Spinnelli lächelte. »Aber ich habe meinen Namen gar nicht auf der Neonreklame gesehen.«
»Wir wollen das ganz und gar nach Vorschrift machen, Tess. Zu Ihrem und unserem Nutzen.«
»Ich weiß, und ich weiß es zu schätzen, Marc. Ich habe gehört, dass Sie mit Berufungen zu tun haben, Patrick.«
Patrick machte ein finsteres Gesicht, aber das schien er immer zu tun, wenn sie in der Nähe war. Als er damals nach dem Rücktritt des letzten Staatsanwalts die Stellung übernommen hatte, hatte sie zuerst die Befürchtung gehabt, sie habe ihm irgendwie auf die Zehen getreten. Aber inzwischen wusste sie, dass er immer so wirkte. »Heute Morgen lagen im Fax zwei weitere«, bemerkte er.
»Tut mir leid. Ich wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, die Sache ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen.« Sie schluckte. »Aber Sie wissen, dass ich Ihnen meine Patientenkartei nicht einfach überlassen kann.«
Er nickte. »Und Sie wissen, dass ich Ihnen eine richterliche Verfügung vorlegen werde.«
»Ich bin verpflichtet, sie anzufechten.«
Patrick zuckte die Achseln. »So läuft das Spiel. Ich hoffe nur, dass niemand anderes sterben muss, während wir feilschen.«
Sie zuckte innerlich zusammen. Das war ein Schlag unter die Gürtellinie, sehr bewusst eingesetzt. »Versuchen wir also herauszufinden, wer hinter der Sache steckt, bevor noch ein
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