Niederschlag - ein Wyatt-Roman
Er richtete sich wieder auf und blickte neben sich auf die Rückbank. Auf der Versandröhre befanden sich rote Abdrücke seiner Hand. Raymond atmete stoÃweise und begann, vor sich hin zu pfeifen, um seine Nerven zu beruhigen.
Sie hielten an einer Ampel. Der Taxifahrer stieà mit einem Wurstfinger gegen die Tasten seines Dispatch-Screens und fluchte leise.
»Hasse dieses ScheiÃding.«
Raymond seufzte.
Die Meldung kam. Der Fahrer las sie. »Mr. Atkins von der Rechtshilfe in Thomastown anrufen? Himmel, Arsch und Zwirn, was hat sie jetzt wieder angestellt?«
Raymond nahm an, dass der Fahrer sich vermutlich nicht an ihn und nicht an verschmiertes Blut erinnern werde, schien er doch eigene Probleme zu haben. »Was ist denn los?«
Der Taxifahrer warf einen Blick in den Rückspiegel. Es war längst Grün, er hatte nicht reagiert und jetzt wurde gehupt. »Du mich auch, Arschloch«, sagte er und zeigte dem anderen Fahrer den Stinkefinger. Das Taxi fegte über die Kreuzung. »Meine Tochter«, erklärte er. »Sie schwänzt die Schule und zieht mit ihrer Gang durch die Läden und klaut.« Er hob beide Hände vom Lenkrad und lieà sie in einer Geste der Hoffnungslosigkeit wieder fallen. »Ich meine, was soll man tun? In der Schule bringen sie ihnen doch nichts mehr bei. Zu Hause versucht man alles richtig zu machen, sagt ihnen, was richtig ist und was falsch, und dann kommt so ein ScheiÃliberaler aus dem Lehrerseminar, stellt alles auf den Kopf oder sie werden Mitglied einer Gang und schwänzen die Schule. Ich mach die Drogen dafür verantwortlich. Und die Wirtschaft. Wer interessiert sich heutzutage noch für die Familie? Hier ist sich doch jeder selbst der Nächste.«
Raymond lag schon auf der Zunge zu sagen: »Langsam, Mann, ich kann Ihnen nicht folgen«, doch die Erwähnung von Familie und Schülerbanden, von Ladendiebstählen erinnerte ihn an seine eigenen Jahre auf der High School, erinnerten ihn an Wyatt, an Wyatt, der nie für ihn da gewesen war. Er befeuchtete den Zeigefinger seiner linken Hand, rieb über die Handfläche und das Handgelenk seiner rechten, wo Wyatts Blut hartnäckig klebte. Er verstand gar nicht mehr, weshalb er den Mistkerl nicht abgeknallt hatte. Bumm, einfach mitten in den verdammten Kopf.
Raymond verdrängte den Gedanken, dass er dieser Situation ein zweites Mal nicht gewachsen wäre.
»Was ist in der Röhre?«
Raymond erstarrte. »Was?«
Der Fahrer deutete mit dem Kopf nach hinten, auf den Rücksitz. »Sind da Pläne drin? Sie wissen schon, Blaupausen?«
Raymond räusperte sich. »Ja, eine.«
»Sind Sie Architekt?«
»Arbeite für einen«, sagte Raymond.
Innerlich schrie er: Na los, komm schon, fahr mich nach Hause.
Wo er duschen, saubere Klamotten anziehen und Chaffey anrufen würde, um ihm die Neuigkeit mitzuteilen, dass Wyatt ScheiÃe gebaut hatte.
»Sie könnten nicht vielleicht mal einen Blick auf mein Haus werfen? Müsste unbedingt mal renoviert werden, der Kamin ist durchfeuchtet, auÃerdem hab ich überlegt, hinten so eine Art Pergola anzubauen.«
Raymond kniff die Augen zusammen. Sein Kopf dröhnte. Er sah die unzähligen verschandelten Vororte vor sich, bevölkert von Typen wie diesem Fahrer, ihren Frauen und Kindern, von Geldsorgen geplagt von der Wiege bis zur Bahre. Und das war ganz sicher nicht sein Weg. »Tut mir leid. Wir sind auf Toiletten für staatliche Schulen spezialisiert.«
»Nichts für ungut«, sagte der Fahrer. »Ich dachte nur, ich frag mal. Fragen kostet schlieÃlich nichts.«
Sie verfielen in Schweigen. Raymond betrachtete die Skyline der Innenstadt, die näher rückte und fast die gesamte Windschutzscheibe ausfüllte, als sie die Nicholson Street entlangzuckelten und dann durch StraÃen fuhren, die nicht unbedingt von der Sonne verwöhnt wurden. Auf der anderen Seite der Stadt sagte der Fahrer: »Sie müssen mich jetzt mal dirigieren, Southbank verändert sich so schnell, ich komm da nicht mehr mit.«
Raymond stieg an den ABC-Studios aus und ging dann durch eine SeitenstraÃe zu seinem Apartmentgebäude.
In seiner Wohnung wusch er zuerst mit einem Schwamm das Blut von der Röhre und stellte sich anschlieÃend für zehn Minuten unter den reiÃenden HeiÃwasserstrahl seiner Dusche. Es kam ihm in den Sinn, wie töricht es gewesen war, in seine Wohnung
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