Niemand hört dich schreien (German Edition)
der die Leiche gefunden hatte, doch er hatte nichts sagen können, außer, dass es die Leiche einer Frau war. Danach hatte sie mehrere Stunden damit zugebracht, Bekannte in der Pathologie und im Polizeipräsidium anzurufen, aber keiner hatte geredet. Es war frustrierend.
Der heutige Aufmacher würde die Baustelle an der I-64 sein. Bei den anderen Beiträgen ging es um Kreditkartenschulden nach den Feiertagen, um Häuser, die nach dem Sturm am Sonntag immer noch ohne Strom waren, und um begehrte Urlaubsziele. Ihre unbekannte Tote würde als Drittes an die Reihe kommen.
Kendall schüttelte ihr Haar, schnappte sich ihr Manuskript für die Abendnachrichten und ging in den Flur, der zum Studio führte. Das Gebäude des Senders, einem der ältesten der Region, befand sich mitten in einer Grundsanierung. Im vorderen Teil riss man Wände ein, entfernte Teppiche und strich alles in neuen, helleren Farben. Die Baustelle hatte ihnen ein paar unruhige Monate eingebracht, aber laut Senderchef waren es notwendige Veränderungen. Das Gebäude, die Verkabelung und die Sendeausrüstung waren veraltet. Er hatte versprochen, dass die Arbeiten im Sommer beendet sein würden.
Die Renovierung war nervtötend, aber etwas Gutes war dabei für Kendall herausgekommen – der Kontakt zu ihrem Schreiner. Er hatte kurzfristig hier gearbeitet, und der Projektmanager des Unternehmens hatte ihn ihr empfohlen.
Kendall durchquerte die verwinkelten Gänge und stürmte in die Nachrichtenredaktion. Allgemeines Gemurmel drang ihr entgegen. Fast den ganzen Tag über war es hier ruhig, doch zehn Minuten vor der Ausstrahlung herrschte geordnetes Chaos.
Mit Computern ausgerüstete Arbeitsplätze unterteilten den großen, quadratischen Raum. Die Reporter schrieben und bearbeiteten dort ihre Storys. Ganz rechts in der Ecke befand sich der blaue Monitor, der die Wetterkarten anzeigte, in einer anderen Ecke war alles für Guten Morgen, Virginia , das Morgenprogramm des Senders, aufgebaut.
Die meisten Besucher waren erstaunt, wenn sie das erste Mal durch den Sender geführt wurden, und fanden ihn immer viel kleiner als gedacht.
Auf Kendalls Vorschlag hin war das übliche Moderatorenpult abgeschafft worden. Stattdessen moderierte sie nun von der Mitte der Redaktion aus. Brett hatte sich zunächst gesträubt, aber er hatte rasch gemerkt, dass die neue Anordnung die Sendung frischer wirken ließ. Und die Änderung hatte sich in den Quoten niedergeschlagen. Die Zuschauer nahmen Kendall als weniger distanziert wahr, wenn sie nicht hinter dem Schreibtisch saß.
»Kendall, Zeit für die Mikrofonprobe«, rief Larry, der Tontechniker, der schon seit Jahren für den Sender arbeitete.
Sie ging zu ihm und warf einen Blick auf den Text zum Bericht über die ermordete Frau. Larry befestigte das winzige Mikrofon am Aufschlag ihrer Wildlederjacke und führte den Draht zu einer Batterie, die sich hinten an ihrem Hosenbund befand.
Heute erhielt die Henrico-County-Polizei einen Notruf von der geplanten River-Bend-Baustelle am James River, wo Bauarbeiter die Leiche einer bisher noch nicht identifizierten Frau gefunden hatten. Bisher tappt die Polizei bezüglich der Todesursache im Dunkeln …
Einer noch nicht identifizierten Frau. Die Formulierung störte sie. Die Frau hatte einen Namen, und aus irgendeinem Grund kam Kendall sich unzulänglich vor, weil sie ihn noch nicht kannte.
»Alles bereit«, verkündete Larry.
Sie schob ihre Gedanken beiseite. »Danke.«
»Noch eine Minute.« Der Hinweis kam vom Regisseur.
Kendalls Nerven flatterten, so wie immer kurz vor der Sendung, aber das störte sie nicht, sondern schärfte eher ihre Konzentration.
»Noch dreißig Sekunden.«
Sie sah zu ihrem Regisseur hinüber und nickte.
Einer noch nicht identifizierten Frau. Die Formulierung geisterte weiter in ihrem Kopf herum, während sie Grimassen schnitt, um ihre Gesichtszüge zu entspannen. Sobald die Polizei den Namen bekannt gab, würde sie ein Profil der Frau erstellen.
Der Regisseur zählte rückwärts bis fünf.
Kendall befeuchtete ihre Lippen und lächelte.
Die nicht identifizierte Frau würde nicht namenlos und unbekannt bleiben. Dafür würde sie sorgen.
Drei … zwei … eins.
»Guten Abend. Hier ist Kendall Shaw von Channel 10 mit den Nachrichten aus Richmond …«
Mehrere Stunden waren vergangen, bevor Jacob und Zack wieder bei Jackie Whites Haus waren.
Jacob streifte die Gummihandschuhe über und steckte den Schlüssel ins Schloss. »Ich habe keinen Hinweis
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