Niemand kennt mich so wie du
wenn sie zuvor noch nicht da gewesen war. Sie hatte sich nie Clooneys Telefonnummer geben lassen, weil ihr kein Grund eingefallen war, ihn darum zu bitten, und weil sie viel zu viel Angst davor hatte, dass Declan sie fand. Eve bog in die kleine Seitenstraße ab, in der vor zwei Monaten Ben Logan ums Leben gekommen war, und sah in der Ferne das Apartmenthaus auf der Klippe. Nachdem sie vor dem Gebäude geparkt hatte, stieg sie langsam und unter Schmerzen aus, rückte den Mantel zurecht, umklammerte ihn vorne mit der Faust und ging auf den Hauseingang zu. Sie suchte das Klingelschild nach Eves Namen ab und fand ihn nicht. Doch sie kannte Eve gut genug, um zu wissen, dass sie sich in einer Apartmentanlage mit nicht weniger als dem Penthouse zufriedengeben würde. Sie drückte auf die Klingel. Als niemand antwortete, klingelte sie noch einmal, und diesmal ließ sie den Finger auf dem Knopf.
Clooney antwortete mit verschlafener Stimme, doch sobald er sie schluchzen hörte, war er hellwach. Die Haustür ging auf, und er wartete ungeduldig auf den Lift. Er hüpfte auf der Stelle auf und ab und legte die Hände an die Aufzugtür, als könnte er sie zwingen, sich zu öffnen. Als der Lift sich endlich öffnete, sah er sie: verletzt und blutend und mit eindeutig ausgerenkter Schulter.
«Er hat mich vergewaltigt», sagte sie. «Er hat mich eine Hure genannt, und dann hat er mich vergewaltigt.»
Clooney brachte sie hinein. Stumm führte er sie an der Hand. Sie schützte den verletzten Arm. Sie wusste nicht, ob sie sitzen oder stehen, sich bewegen oder hinlegen wollte. Clooney kniete sich auf den Boden, und sie sah zu ihm hinunter. Er hielt ihre Hand und lächelte sie an.
«Jetzt bist du in Sicherheit», sagte er, und aus ihren brennenden Augen liefen heiße Tränen über das zerschundene, empfindliche Gesicht. Sie schluchzte, die geschwollene Lippe riss auf und fing wieder an zu bluten, und Clooney stand langsam auf, legte seine Wange an ihre und flüsterte ihr ins Ohr, dass sie jetzt bei ihm wäre, in Sicherheit, und dass es kein Zurück mehr gäbe. Als sie wieder etwas ruhiger war, bat er, sich ihren Arm ansehen zu dürfen.
«Er ist ausgekugelt», sagte sie.
«Ich weiß. Wir müssen ihn wieder einrenken.»
«Weißt du, wie das geht?», fragte sie, und Clooney nickte.
«Ich habe mir diesen Schatz hier schon viermal ausgekugelt», sagte er und zeigte auf seine linke Schulter.
Vorsichtig nahm er ihren Arm und drehte ihn behutsam bis zu einem Fünfunddreißig-Grad-Winkel. Der Schmerz war unerträglich, und sie konnte sich einen Aufschrei nicht verkneifen, als das Gelenk wieder an seinen Platz rutschte. Die Schmerzen ließen augenblicklich nach. Sie seufzte und bewegte vorsichtig den Arm.
«Besser?», fragte er.
Sie nickte und sank zu Boden, zog die Knie an den Körper und umschlang sie. Er setzte sich neben sie, und als sie die Hand nach ihm ausstreckte, nahm er sie in seine Arme, hielt sie fest und schaukelte sie sanft, während sie weinte. Nachdem sie eingeschlafen war, trug er sie ins Bett. Beim Zudecken entdeckte er das Blut auf der Rückseite ihres Nachthemdes. Clooney legte sich neben sie, bewachte ihren Schlaf und dachte an all die Dinge, die er Declan antun wollte. Er wollte zu ihm fahren und sein Haus anzünden, und ihn gleich mit. Er wollte ihn auf die Straße zerren und ihn halb totprügeln, ihm die Kleider vom Leib reißen und auspeitschen, ihn mit dem Auto überfahren oder ihm einfach nur ins Gesicht boxen. Die ganze Welt sollte wissen, was er getan hatte. Er wollte mit einem Megaphon durchs Krankenhaus und durch die Nachbarschaft laufen und es laut in die Welt hinausschreien, und er wollte sehen, wie Declan vor dem Richter stand und seine gerechte Strafe empfing. Clooney war wütend, und ihm war schlecht, und plötzlich fragte er sich: Hat er das schon öfter getan?
Als Lily aufwachte, hörte sie, wie Wasser in eine Wanne lief und jemand in der Küche hantierte. Eves Bademantel lag auf dem Bett, und Lily zog ihn eilig über, um die Blutflecken zu verstecken. Sie ging in die Küche. Clooney lächelte ihr zu und deutete aufs Sofa. Sobald sie unter der Decke saß, stellte er ihr ein Tablett mit einem kleinen Teller Rührei auf den Schoß.
«Iss.»
«Ich kann nicht.»
«Drei Bissen, nicht auf einmal, und nimm dir Zeit», sagte er. «Aber bitte trotzdem, nur drei Bissen.»
Sie nickte.
Er setzte sich mit seiner eigenen Portion ihr gegenüber hin. Sie spielte mit dem Essen, schob es auf dem Teller herum
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