Niewinter 4: Die letzte Grenze
eigentliche Lehre hinter der Vernunft und Moral, die ich als Mielikki ansehe.«
»Ich bin ein Hexer – schon vergessen? Vielleicht betrachte ich den Tod als Lüge.«
»Weil du ihn pervertierst?«
Draygo Quick erhob sich seufzend. »Unwichtig«, verkündete er, »denn ich bin dieses Gespräch leid. Und ich habe auch keinerlei Interesse mehr an weiteren Gesprächen mit dir.«
»Dann lass mich gehen.«
Der Alte lachte und sagte dann abrupt: »Nein.«
»Dann mach dem ein Ende und töte mich.«
»Noch einmal: nein«, erwiderte Draygo Quick. »Du irrst dich, was die Götter von Toril angeht, Drizzt. Sie sind sehr real und weit mehr als eine Verkörperung dieser oder jener Lehre oder Wahrheit.«
»Das ändert nicht, was in meinem Herzen ist.«
»Auch nichts an deiner Treue zu Mielikki?«
»Meine Treue gilt der Wahrheit und Gerechtigkeit, die ich unter dem Namen Mielikki kennen gelernt habe. Das ist ein keineswegs subtiler Unterschied.«
Draygo Quick wedelte mit beiden Händen, um Drizzt zum Schweigen zu bringen und das Gespräch abzuschließen. »Ich habe Gründe zu der Annahme, dass die kommenden Jahre große Ereignisse in Gang setzen werden«, sagte er. »So wie jene, die Toril und Abeir zusammengefügt haben. Das glaube ich, und ich fürchte es. So groß wie die Zauberpest und die Ankunft der Schatten. Und ich glaube, dass du bei diesen kommenden Veränderungen eine Rolle spielen könntest.«
»Dann werde ich meine Säbel schärfen«, sagte der Drow mit unnachgiebigem Sarkasmus.
»Deine Säbel sind irrelevant. Deine Götter hingegen nicht.«
»Ich kenne keine Götter außer …«
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Draygo Quick abwehrend. »Du kennst Wahrheiten, und diesen Wahrheiten wurde ein Name verliehen.«
Drizzt widerstand dem Wunsch, Draygo Quick noch einmal darauf zu stoßen, dass schließlich er dieses Thema angeschnitten hatte.
»Du berichtest mir von dem Weg, dem du folgst, und den Zeichen der Wahrheit, die dich führt«, setzte Draygo Quick ein letztes Mal an. »Und ich glaube, dass du ehrlich bist. Aber ich weiß mehr von der Welt als du, Drizzt Do’Urden, und ich gehe davon aus, dass dein Weg dich täuscht. Am Ende läufst du im Kreis, und das wird dem, was du ablehnst, mehr helfen, als dem, was dir wichtig ist. Das, Drizzt Do’Urden, ist deine jämmerliche Wahrheit. Ich habe alles gehört, was du Effron in der Zelle erzählt hast, als ihr zusammen gefangen wart, deine ganze Geschichte. Der Glaube, dass deine geliebte Mielikki deine Frau und den Halbling einem Ort heiliger Gerechtigkeit zugeführt hat, tröstet dich. Vielleicht sind sie jetzt sogar bei ihr!« Er keckerte böse, ehe er fortfuhr: »Oder es war die größte Täuschung von allen seitens einer teuflischen Königin, die für ihr Täuschungstalent gerühmt wird.«
Er legte eine Pause ein, bevor er ging, und Drizzt wusste, dass Draygo sich eine Reaktion erhoffte und dass nicht nur die Hoffnung auf persönliche Genugtuung dahintersteckte. Ob jemand wirklich meint, was er sagt, erweist sich in Zeiten großer Not, und die entlarvendsten Ereignisse geschehen, wenn man in Wut gerät.
»Ich weiß nur, was in meinem Herzen ist«, antwortete Drizzt schlicht, ohne Draygo Quicks Köder zu schlucken. »Solange ich nicht versage, ist das alles, worauf ich höre.«
Der Hexer verließ schnaubend den Raum.
Drizzt blieb noch lange sitzen, um diese äußerst merkwürdige Unterhaltung zu verdauen. Er glaubte nicht, in irgendeiner Form auserwählt oder überhaupt nur besonders bedeutend zu sein, weder für Mielikki noch für die Spinnenkönigin, in Bezug auf die schreckliche Lolth zumindest nicht in positiver Weise.
Aber Fürst Draygo, immerhin ein mächtiger Schatten, war anderer Meinung, und das gab Drizzt zu denken. Mielikki hatte Catti-brie und Regis auf äußerst ungewöhnliche Art abgeholt: Ihre Seelen waren auf dem Rücken eines geisterhaften Einhorns aus Mithril-Halle fortgeritten, und damit hatte ihr unerträglicher Wahnsinn ein Ende gehabt. Und es war Mielikki, die das getan hatte, kein Täuschungsmanöver von Lolth. Das musste Drizzt einfach glauben.
Aber wäre Lolth nicht boshaft genug, ihn derart zu betrügen?
Er schüttelte diesen Gedanken ab. Wenn das Lolths Tun gewesen wäre, so hätte der eine oder andere ihrer Anhänger Drizzt diese List sicher längst enthüllt, um ihn noch mehr zu quälen. Und wenn Drizzt der Herrin Lolth wirklich so wichtig war, wie Draygo Quick es unterstellte, warum hatten die Priesterinnen des Hauses
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