Nightside 10 - Für eine Handvoll Pfund: Geschichten aus der Nightside Band 10 (German Edition)
Nur weil ich tot bin, habe ich nicht meinen Job niedergelegt.“
Er zog sein Mobiltelefon hervor und rief eine seiner Fahrerinnen an, um sie herzubestellen, damit sie uns abholte. Er hatte sein Handy kaum eingesteckt, als eine lange, perlgraue Limousine aus dem Verkehr ausscherte und zum Stehen kam. Die Fahrerin, eine große, blonde Walküre in einer weißen, ledernen Chauffeursuniform, die von einer Schirmmütze komplettiert wurde, stieg aus, um für Larry und mich die Tür zu öffnen. Sie lächelte Larry an, winkte mir zu und saß wieder hinter dem Lenkrad, bevor ich mich überhaupt angeschnallt hatte.
„Image ist alles in diesen Tagen“, sagte Larry ruhig. „Mach dich wichtig, und jeder wird dich behandeln, als seist du es auch. Du magst mit den alten Wegen zufrieden sein, die du mit deinem kultigen, weißen Trenchcoat entlangschreitest, aber ich habe immer daran geglaubt, in großem Stil zu reisen. Bring uns zu St. Judas, Priscilla.“
„Man sieht von der Straße aus mehr als von einem Auto“, entgegnete ich, aber es war nicht mein Ernst.
***
Die Limousine musste heimlich richtig schwer bewaffnet sein, denn der Rest des Verkehrs machte uns sehr viel Platz. Wir fegten mühelos durch die Nacht, ließen die hellen Lichter hinter uns, als wir in die dunkleren und undurchsichtigeren Gebiete vordrangen, wo die Schatten Substanz hatten und selbst das Mondlicht verdorben schien. Es war, als gleite man von einem Traum in einen Albtraum, tausche die alltäglichen Versuchungen gegen finsterere, bösartigere Impulse ein. Ich sah, wie die Straßen und Plätze an uns vorbeiglitten, wie sie am geschmeidigen Komfort der Limousine vorbeifegten, und all die grellen Neon- und Farbfilmeinladungen erschienen mir wie ein Traum innerhalb eines Traums, weit, weit weg.
St. Judas lag versteckt in einer ruhigen Ecke, im hintersten Winkel, weit, weit entfernt von den Plätzen, die man kennt. Es gab kein Schild draußen, keinen Namen auf einer Tafel, kein Versprechen auf Hoffnung und Trost. Sie war nur für das da, wofür man sie brauchte. Die einzig wahre Kirche der Nightside. Die Limousine kam in respektabler Entfernung zum Stehen, und Larry und ich stiegen aus. Die Nachtluft war kalt und beißend, lebhaft und erfrischend zugleich, voller Möglichkeiten. Larry befahl seiner Chauffeurin, an Ort und Stelle zu bleiben, und er und ich gingen auf die Kirche zu, wobei keiner von uns sich beeilte. St. Judas war kein einladender Ort.
St. Judas, ein altes, kaltes Steinbauwerk, das älter war als die Geschichte, älter als selbst das Christentum, bestand aus vier nackten grauen Steinw änden mit einem Schieferdach, engen Schlitzen als Fenster und nur einer Tür. Diese war niemals verschlossen oder verriegelt, sondern immer offen und ließ jeden, der wollte, in die Höhle des Löwen eintreten. Es gab keine Priester, keine Messdiener oder Prediger, dies war nur ein Ort, an dem man mit Gott reden konnte und wirklich eine gute Chance hatte, eine Antwort zu bekommen. Eine letzte Chance in der Nightside, Zuflucht, Erlösung oder plötzliche und schreckliche Gerechtigkeit zu erlangen.
Nicht viele Leute kamen nach St. Judas. Es war kein Ort für Barmherzigkeit oder Gnade. In St. Judas ging es nur um Wahrheit.
Ich brauchte nicht lange, um zu erkennen, dass sich die Kirche verändert hatte, seit ich das letzte Mal hier gewesen war. Sie schien nicht mehr beschaulich oder besinnlich. Strahlende Lichtfluten brachen aus allen Fensterschlitzen, vertrieben die Dunkelheit. Eine große, gewaltige Macht trieb ihr Unwesen in der Nacht, was von dem uralten Steingebäude ausstrahlte und in der Luft hämmerte und pochte. Hier gab es nichts Gutes oder Böses, sondern nur schiere, nackte Macht. Larry und ich sahen einander an, zuckten die Achseln und gingen weiter. Je näher wir kamen, desto mehr schien es, als stemmten wir uns einer Flut oder einem Sturm entgegen, und wir mussten uns mit reiner Willenskraft unseren Weg bahnen. Wer oder was auch immer sich in der Kirche eingerichtet hatte, war definitiv nicht erfreut über Besucher.
„Ich war noch nie hier“, sagte Larry lässig. „Ist es immer so?“
„Gewöhnlich nicht“, entgegnete ich. „Manchmal ist es wirklich ziemlich gefährlich.“
„Wer, denkst du, ist hier?“
„Keine Ahnung. Vielleicht wurde jemandes Gebet erhört.“
Larry grinste kurz. „Sieht eher wie eine persönliche Erscheinung aus.“
„Möglich.“
Larry sah mich an. „Ich habe einen Witz gemacht!“
„Ich nicht. Das ist
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