Nightside 9 - Wieder einmal Weltenbrand
„Reicht das nicht?“
„Nein“, entgegnete der Wanderer. „Es reicht nie.“
„Wir sind bloß Geschäftsleute.“ protestierte Paul Höllenreich. „Wir sind Dienstleister, wir beschützen unsere Kunden vor den Unbeständigkeiten des Schicksals!“
„Wir sind Versicherungsleute.“ sagte Davey Höllenreich. „Wir haben noch nie jemanden getötet!“
„Wir werden ehrbar werden.“ sagte Paul. „Wir werden Steuern zahlen. Wir versprechen es.“
„Sie müssen uns nicht töten.“ sagte Davey. „Wir sind es nicht wert.“
„Manche Dinge sind es immer wert“, entgegnete der Wanderer.
„Du solltest sie Walker übergeben“, warf ich ein, als er seine Revolver hob. „Sie haben sich ergeben.“
„Walker?“, sagte Paul. „Damit wir in Schattentief enden? Da werde ich doch lieber erschossen!“
„Kein Problem“, antwortete der Wanderer.
„Zur Hölle damit“, sagte eine neue Stimme. „Ich habe noch nie einen Klienten hängenlassen.“
Wir sahen uns alle überrascht um, als die Besitzerin dieses süßen französischen Akzents vortrat. Gott allein wusste, wie sie es geschafft hatte, sich zu verstecken, doch Penny Dreadful hatte das ganze Massaker ohne einen Blutstropfen abzubekommen überstanden. Sie bewegte sich vorsichtig durch das Gemetzel und stieg geziert über tote Körper, bis sie dem Wanderer von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand.
„Penny“, sagte ich behutsam. „Geh aus dem Weg. Du kannst den Wanderer nicht aufhalten.“
„Ich habe ihr Geld genommen“, sagte Penny. „Ich habe geschworen, sie vor allen Gefahren zu beschützen und jedes mögliche Unheil mit meinem Körper abzufangen. Das ist nun mal der Job.“
„Sie hat ihr Geld genommen“, meinte der Wanderer, „auch wenn sie genau wusste, woher es stammte. Das macht sie genau so schuldig wie jene hier.“
„Nein, verdammt noch mal!“, widersprach ich. „Sie ist ein Profi, das ist alles. Wie ich und Chandra!“
„Wenn man sich auf die Seite von Sündern schlägt, stirbt man wie ein Sünder“, sagte der Wanderer. „Es ist wirklich so einfach.“
„Nein, ist es nicht“, sagte ich. „Nicht hier. Nicht in der Nightside. Hier machen wir Dinge anders.“
„Ich weiß“, antwortete der Wanderer. „Das ist das Problem. Sünde ist Sünde. Du lebst hier schon so lange, dass du das vergessen hast.“
„Sie ist auf ihre ganz eigene Art tapfer, ehrenhaft und vertrauenswürdig“, sagte ich, während ich mich bewusst zwischen Penny und den Wanderer schob. „Sie hat auch Gutes getan!“
„Ich bin sicher, Gott wird das in Betracht ziehen“, meinte der Wanderer. Dann erschoss er sie, direkt an meinem Ohr vorbei. Ich fuhr herum, aber es war zu spät. Penny brach in die Knie, und ein drittes, blutiges Auge prangte auf ihrer Stirn. Ich fing sie auf, ehe sie auf den Boden knallte, aber sie atmete nicht mehr. Ich kniete vor dem Wanderer und hielt meine tote Freundin in den Armen. Ich vernahm zwei weitere Schüsse, wandte mich aber nicht um, um die Gebrüder Höllenreich fallen zu sehen. Ich wollte Penny nicht loslassen, auch wenn ich wusste, dass ich nichts mehr für sie tun konnte. Ihr Leichnam lehnte schwer an mir, wie ein schlafendes Kind. Sie hatte nicht verdient, so zu sterben. Auch wenn sie die berühmte Penny Dreadful gewesen war und all die Dinge getan hatte, die sie nun einmal getan hatte. Diesen Tod hatte sie nicht verdient.
Schließlich legte ich sie behutsam auf den Boden, stand auf und funkelte den Wanderer verächtlich an, der unbeeindruckt zurückstarrte. Ich schritt auf ihn zu, doch Chandra hielt mich am Arm fest, um mich zurückzuhalten.
„Nein, mein Freund! Nicht jetzt! Wir sind nicht bereit.“
„Lass los“, knurrte ich, und er zog seine Hand sofort zurück.
Ich atmete schwer, mein ganzer Körper war angespannt. Ich musste etwas tun … irgendetwas. Ich wusste, dass er mich töten würde, sollte ich auch nur einen einzigen Schritt weiter nach vorn wagen, aber in dem Moment war ich mir nicht sicher, ob mir das etwas ausmachte, solange ich ihn mit mir in die Verderbnis reißen konnte.
„Was ist mit Gottes Gnade?“, fragte ich endlich mit einer rauen Stimme, die ich fast nicht wiedererkannte. „Was ist mit Barmherzigkeit?“
„Nicht meine Abteilung“, antwortete der Wanderer. Er hatte augenscheinlich entschieden, dass ich nichts Unüberlegtes mehr tun würde, und steckte seinen Pistolen weg.
„Was gibt dir das Recht, jemanden zur Hölle fahren zu lassen?“
„Ich habe niemanden zur
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