Nikotin
»›Lord Aintrees Dilemma‹ hieß das Stück. Ganz oben auf der Galerie haben wir gesessen, meine Frau und ich, und zwei Stunden standen wir Schlange vor der Kasse, um die Ka r ten zu bekommen. Oh, wir hätten auch vier Stunden g e standen, Sir! Es war im Pall-Mall-Theater.«
»Wie Sie wissen, habe ich der Bühne den Rücken g e kehrt«, entgegnete Charles Cartwright. »Aber Sie können mich noch im Pall Mall sehen.« Er nahm eine Visitenka r te und schrieb ein paar Worte darauf. »Das nächste Mal, wenn Sie und Mrs Crossfield einen Ausflug nach London machen, geben Sie dies im Theaterbüro ab, und Sie we r den dann die besten Logenplätze erhalten.«
»Sir Charles, Sie beschämen mich durch Ihre Güte. Vi e len, vielen Dank! Meine Frau gerät sicher ganz aus dem Häuschen, wenn sie es erfährt.«
Danach war Inspektor Crossfield Wachs in Cartwrights Hand.
»Es ist eine wunderliche Sache, Sir. In meiner ganzen Laufbahn habe ich noch nie eine Vergiftung durch Nik o tin erlebt. Dr. Davis ebenfalls nicht.«
»Ich dachte bisher immer, Nikotinvergiftung sei eine Art Krankheit, durch übermäßiges Rauchen verursacht.«
»Das dachte ich auch, Sir. Doch der Doktor sagt, dass das reine Alkaloid eine geruchlose Flüssigkeit sei und dass wenige Tropfen genügten, um einen Mann fast umg e hend zu töten.«
»Also ein unheimlich wirksames Zeug!«
»Jawohl, Sir. Und dennoch wird es im täglichen Leben benutzt. Mit Nikotinlösung pflegt man zum Beispiel R o sen zu bespritzen. Und natürlich kann sie aus gewöhnl i chem Tabak hergestellt werden.«
»Rosen«, sagte Sir Charles. »Wo habe ich doch gehört …« Er brach ab und schüttelte den Kopf.
»Haben Sie etwas Neues zu berichten, Crossfield?«, fragte Colonel Johnson.
»Nichts von Bedeutung, Sir. Es liefen Anzeigen ein, dass der gesuchte Ellis in Durham, in Ipswich, in Balham und in einem Dutzend anderer Orte gesehen wurde. Das muss alles erst gesiebt werden, ehe sich der Wert beurte i len lässt.« Er wandte sich an die beiden anderen Herren. »In dem Augenblick, wo die Beschreibung eines Me n schen in Umlauf gesetzt wird, hat man ihn in ganz En g land gesehen.«
»Wie lautet die Beschreibung des Mannes?«, erkundigte sich der Schauspieler.
Johnson nahm ein Papier vom Schreibtisch.
»John Ellies, mittlere Größe, etwa fünf Fuß, sieben, geht leicht gebeugt, graues Haar, kleiner Backenbart, dunkle Augen, heisere Summe, im Oberkiefer fehlt ein Zahn, was sichtbar wird beim Lächeln, keine besonderen Kennzeichen.«
»Hm. Ziemlich nichts sagend, abgesehen von dem B a ckenbart und dem Zahn. Den ersteren wird er sich de r weil längst abrasiert haben, und auf sein Lächeln können Sie auch nicht bauen.«
»In unserem Fall stellt sich immer wieder heraus, wie schlechte Beobachter die Leute sind«, bemerkte der I n spektor. »Wie habe ich mich abmühen müssen, um von dem Mädchen in der Abtei auch nur die vageste Schild e rung zu bekommen! So geht es immer. Ich habe B e schreibungen von ein und demselben Mann gehabt, in denen er groß, dünn, klein, stämmig, untersetzt, mitte l groß, dickbäuchig, schmächtig genannt wurde. Nicht e i ner unter fünfzig Leuten versteht seine Augen wirklich zu gebrauchen.«
»Sind Sie selbst denn fest überzeugt, Inspektor, dass E l lis der Mörder ist?«
»Warum riss er denn sonst aus, Sir?«
»Ja, darüber strauchelt man allerdings«, gab Sir Charles zu.
Jetzt forderte der Colonel von seinem Untergebenen die Liste mit den Angestellten und Hausgästen und reic h te sie den beiden Besuchern. Sie lautete folgendermaßen:
Martha Leckie, Köchin
Beatrice Church, Wirtschafterin
Doris Coker, erstes Stubenmädchen
Viktoria Ball, zweites Stubenmädchen
Alice West, Hausmädchen
Violet Bassington, Küchenmädchen
(Alle Vorerwähnten sind schon lange Zeit bei dem Verstorb e nen in Stellung und genießen den besten Leumund. Mrs Leckie hat ihren Posten bereits fünf zehn Jahre inne.)
Gladys Lyndon, Sekretärin, dreiunddreißig Jahre alt,
seit drei Jahren bei Sir Bartholomew angestellt, vermag keine Auskünfte über etwaige Beweggründe zu geben.
Gäste:
Lord und Lady Eden, 187 Cadogan Square
Sir Jocelyn und Lady Campbell, 126 Harley Street
Miss Angela Sutcliffe, 28 Cantrell Mansions
Captain Dacres und Gattin, 3 St. Johns House
(Mrs Dacres ist Geschäftsführerin von »Ambrosine Ltd.«. Bruton Street)
Lady Mary und Miss Hermione Lytton Gore, Rose Cottage,
Loomouth
Miss Muriel Witts, 5 Upper Cathcart Road,
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