Nimm doch einfach mich
Bier nuckelten und auf einem vierzig Zoll großen Flachbildschirm ein Baseballspiel verfolgten.
Eine kleine Gruppe Neuntklässler saß in einer Ecke und steckte staunend die Köpfe über einem Playboy-Bildband zusammen, der wie ein aufgeschlagenes Bilderbuch auf Chadwicks Knien lag. Owen setzte sich vorsichtig auf einen gigantischen Fernsehsessel, der aussah, als stamme er vom Sperrmüll. Daneben stand eine knapp ein Meter hohe aufblasbare Budweiser-Gummiflasche.
Wie stilvoll.
»Carlyle!«, rief Coach Siegel durch den Raum und winkte ihn zu sich.
Owen zuckte zusammen. Er bezweifelte, dass er sich in diesem winzigen Apartment irgendwo verstecken konnte, fühlte sich im Moment aber nicht in der Lage, sich entspannt mit dem Coach zu unterhalten. »Komme gleich! Ich muss vorher nur noch mal schnell …«, rief er ihm zu, hievte sich umständlich aus dem Sessel und machte sich auf den Weg zum Badezimmer. Mist! Die Tür war abgeschlossen.
»Kann noch eine Weile dauern, ich seile hier gerade einen Koffer ab!« Owen erkannte Hughs Stimme. Ganz toll. So genau hatte er es gar nicht wissen wollen. Er drehte sich um und schaute aus dem Fenster. Der Ausblick war eher niederschmetternd: endlose Reihen öder Apartmentblöcke. Er seufzte frustriert.
»Ja, das Leben ist hart.« Als Owen aufsah, stand ein über gewichtiger Typ neben ihm, den er als Coach Siegels WG-Genossen Mike erkannte. Der Coach führte ihn bei seinen Schwimmern gerne als abschreckendes Beispiel an: Mike war an der Stanford ein Star-Schwimmer gewesen, bis er sich irgendwann mit einem sehr anspruchsvollen, zickigen Mädchen eingelassen hatte. Er schmiss das Schwimmen und die Uni, um ihr nach New York zu folgen, wo sie einen Platz an einem Graduiertenkolleg bekommen hatte und ihn ziemlich schnell abservierte. Mittlerweile arbeitete er bei Red Lobster am Times Square und hatte fast vierzig Kilo zugenommen.
»Kann man wohl sagen«, brummte Owen und rückte ein Stück von Mike ab, als wäre dessen Loser-Ausstrahlung ansteckend.
»Aber solange man gute Kumpels hat, lässt sich alles ertragen … Das ist doch das Einzige, was wirklich zählt.« Mike bekräftigte seine Weisheit mit einem lauten Rülpser. Owen nickte und tat so, als würde etwas, das vor dem Fenster passierte, seine ganze Aufmerksamkeit beanspruchen. Er dachte daran, dass Rhys jetzt irgendwo dort draußen alleine abhing und sich wahrscheinlich ziemlich einsam fühlte. Er musste sich entschuldigen. Kein Mädchen der Welt war es wert, dass man dafür eine Freundschaft aufgab. Warum wurde ihm das erst jetzt klar?
»Ich muss los, Mann«, murmelte er Mike zu, dann stellte er sein Bier auf den Linoleumboden, eilte aus der Tür und den Flur hinunter. Die anderen würden ihn sowieso nicht vermissen.
Im Aufzug stand eine Horde Typen in rosa Poloshirts und total spießigen Bundfaltenhosen, die sich mit 1,5-Liter-Bierflaschen zuprosteten, die sie mit Klebeband an den Händen befestigt hatten – ein beliebtes Trinkspiel, bei dem man seine Hände erst wieder für etwas anderes benutzen konnte, wenn man die Flaschen geleert hatte. Am Ende war man in der Regel dicht bis unter die Haube und bekam die Flaschen nicht mehr aus eigener Kraft ab, sondern brauchte jemanden, der einem dabei half. Aber genau darum ging es: um Teamgeist und Kameradschaft. Ihr Anblick erinnerte Owen an die Freundschaft, die er verloren hatte, und er wäre beinahe in Tränen ausgebrochen.
An der nächsten Straßenecke versuchte er ein Taxi anzuhalten, aber alle Wagen, die Richtung First Avenue fuhren, waren besetzt. Höchstwahrscheinlich Feierwütige, die nach Downtown wollten, um auf Partys zu gehen und Bars unsicher zu machen. Frustriert blickte er auf seine Stan-Smith-Sneakers hinunter. Na gut, dann würde er eben zu Fuß gehen.
Als er endlich vor Rhys' Haus ankam, hörte er von drinnen laute Musik. Gaben die Sterlings vielleicht eine Party? Owen drückte entschlossen auf den Klingelknopf.
»Hey, Mann!« Ein schlaksiger Typ mit Dreadlocks öffnete ihm und lächelte ihn schläfrig an.
»Äh, hi.« Owen zögerte und warf einen Blick auf das Messingschild mit der Hausnummer, das an der Tür angebracht war. Siebenundachtzig. Es war definitiv das richtige Haus. »Ähm, ist Rhys da?«
»Rhys?« Der Typ schüttelte verwirrt den Kopf, ging einfach weg und ließ die Tür weit offen stehen. Owen folgte ihm achselzuckend.
»Rhys?«, rief er. Seine Stimme hallte von der dunklen Eichentäfelung der Eingangshalle wider. Von unten drang seltsame
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