Nimue Alban 10 - Der Verrat
geliefert, um daraus eine ganze Kriegsgaleone zu bauen. Bereits jetzt, in den ersten Frühlingstagen, wogte hoch über den Köpfen der Reisegruppe ein dichtes, undurchdringliches Laubdach: Der undurchdringliche Schatten hatte fast das gesamte Unterholz verdorren lassen. Düster war es hier, nachtdunkel beinahe, doch zumindest hatten die Flüchtigen, eben weil es kaum störendes Unterholz gab, ein beachtliches Reisetempo vorl e gen können.
In den letzten zweiundzwanzig Stunden waren sie a b wechselnd geritten und gelaufen und hatten nur angehalten, um den Pferden ein wenig Rast zu gönnen … oder um die Pferde zu wechseln. Auch damit hatte Merlin recht, dachte Irys. Nicht nur, dass sich in den König Zhames ’ Stallungen tatsächlich die besten Pferde befanden, die sich im ganzen Königreich finden ließen: es gab auch genug davon, dass jedem aus der Gruppe drei Tiere zur Verfügung standen. Nicht alle waren gleich gut. Doch selbst noch das schlechte s te Ross war überdurchschnittlich. Dank der Ersatzpferde hatte man eine Geschwindigkeit vorlegen können, die mit einem einzigen Pferd nie hätte erreicht werden können.
Und was für ein halsbrecherisches Tempo Merlin vorg e legt hatte! Irys war dankbar, dass ihr Vater nur wenig Ve r ständnis für die empörten Damen seines Reiches gehabt ha t te, die unablässig darauf bestanden, seine Tochter müsse im Damensattel reiten. Noch dankbarer wäre Irys allerdings gewesen, wenn sie auch nach ihrer Ankunft hier in De l ferahk noch hätte in Übung bleiben können. Obwohl sie e i gentlich geglaubt hatte, sie sei in Übung geblieben … bis sie nun beinahe einen ganzen Tag im Sattel verbracht hatte.
Irys vermutete, dass sie mittlerweile beinahe achtzig Me i len zurückgelegt hatten – Luftlinie vermutlich um die sec h zig. Vor drei Stunden hatten sie die Ausläufer der So n nendornen hinter sich gelassen. Das bedeutet, vor ihnen l a gen noch weitere einhundertfünfzig Meilen – auch das nur Luftlinie.
»Er ist wirklich ein bemerkenswerter Mann, findest du nicht auch, Phylyp? «, fragte sie leise, als der Graf nach ihren Zügeln griff. Die Prinzessin löste den Sattelgurt und tä t schelte dem erschöpften Pferd liebevoll den Hals. Dann griff sie nach den Zügeln beider Pferde, während Coris es ihr bei seinem eigenen Reittier gleichtat.
»Ich nehme an, du meinst den furchteinflößenden Seijin Merlin «, gab er zurück und lächelte sein Mündel erschöpft an. Er hatte in den letzten Jahren deutlich mehr Erfahrung mit Gewaltritten machen können. Andererseits war er auch beinahe doppelt so alt wie die Prinzessin.
»Natürlich, wen denn sonst! « Sie erwiderte sein Lächeln und schüttelte den Kopf. Dann deutete sie mit dem Kinn in Richtung des Seijin. »Sieh ihn dir doch nur an! «
Prinz Daivyn saß auf einem kleinen Felsen und blickte beinahe ehrfürchtig zu Merlin auf. Seit sie Corisande verla s sen hatten, hätte Irys die Male, die ihr Bruder derart en t spannt gewesen war, an den Fingern einer Hand abzählen können. Und doch wusste sie ganz genau: Daivyn hatte nur allzu gut begriffen, dass ihnen rachsüchtige Verfolger auf den Fersen waren. Aber das schien ihrem kleinen Bruder nichts auszumachen. Irys fragte sich, wie sehr das der Aura von Tüchtigkeit und … nun ja, Unbesiegbarkeit des Seijin zuzuschreiben war. Gewiss wäre es verständlich, wenn ein kleiner Junge Schutz bei einem Waffenträger suchte, der auf ganz Safehold als der Beste aller Leibwächter bekannt war. Und während Irys wünschte, Daivyn hätte die Leichen und das Blut auf dem Innenhof des Schlosses nicht sehen mü s sen, war es für ihren Bruder doch gewiss beruhigend zu wi s sen, dass ein einzelner Mann dieses Blutbad angerichtet ha t te – und das einzig und allein, um seine Schwester und ihn in Sicherheit zu bringen.
Doch das war nicht die ganze Wahrheit, und auch das wusste Irys. Im Gegensatz zu ihr hatte Daivyn das Reiten noch nicht richtig gelernt, als sie aus Corisande fliehen mussten. König Zhames hatte ihm davon abgeraten, sich in Delferahk weiter damit zu befassen. Irys vermutete, die I n quisition habe dem König das ausdrücklich aufgetragen. Schließlich konnte es ja nicht angehen, dass der Junge ihnen doch noch entkäme! Aber was auch immer der wahre Grund sein mochte: Daivyn war dem brutalen Tempo, das Merlin vorlegen ließ, einfach nicht gewachsen.
Glücklicherweise jedoch war das auch überhaupt nicht e r forderlich. Merlin hatte den Prinzen einfach mit auf seinen
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