Nimue Alban: Der Kriegermönch: Roman (German Edition)
mit Erzbischof Maikel zu erleben.«
Kaiserin Sharleyan neigte den Kopf zur Seite und warf Baron Green Mountain einen erbosten Blick zu.
»Ich bin vor nicht einmal sechsundzwanzig Stunden in Cherayth angekommen. Mutter sieht zum ersten Mal seit Monaten ihre Enkelin wieder, und du bist mittlerweile im Ruhestand. Meinst du nicht, wir könnten … ach, vielleicht zwanzig oder dreißig Minuten einfach nur entspannt miteinander plaudern?«
»Ich freue mich auch, dich zu sehen, Sharleyan«, erwiderte er, und ein wunderbar vertrautes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Hattest du eine angenehme Überfahrt? Ist Alahnah dieses Mal nicht ganz so schlimm seekrank geworden? Und was hältst du von Erzbischof Ulys?«
Sharleyan zog eine Grimasse und versetzte ihm die Andeutung einer Kopfnuss. Theatralisch verzog er das Gesicht und stöhnte gequält auf. Sharleyan lachte.
»Als ich noch ein kleines Mädchen war, hätte ich genau das so manches Mal nur zu gern gemacht – allerdings deutlich fester! Du hast keine Ahnung, welches Glück du hattest, weil Mairah immer in deiner Nähe war, um dich zu beschützen.«
»Was meinst du wohl, warum ich nachgegeben und zugelassen habe, dass du sie zu deiner Hofdame ernennst? Ich habe ganz genau gewusst, dass ich früher oder später bei Hofe dringend Beistand benötigen würde.«
Wieder lachte Sharleyan. Sie beugte sich zu ihm hinunter und schloss den ehemaligen Ersten Ratgeber von Chisholm in die Arme, der ihr zu einem zweiten Vater geworden war. Im Laufe der Jahre war er ihr so sehr ans Herz gewachsen, dass sie ihn unter vier Augen sogar duzte – selbstverständlich ausschließlich unter vier Augen! Sie erschrak, als sie bei der zärtlichen Umarmung spürte, wie gebrechlich der einst so kräftige, robuste Mann geworden war. Natürlich hatte Sharleyan gewusst, dass er bei dem Anschlag schwer verletzt worden war, ja, beinahe das Leben verloren hätte. Aber es gab nun einmal immer noch einen gewaltigen Unterschied, etwas nur abstrakt (selbst bebildert von Owls Fernsonden) zu wissen und den inoffiziellen Onkel tatsächlich in den Arm zu nehmen. Bei dem Anschlag hatte Mahrak Sahndyrs den rechten Unterarm verloren, und sein linkes Bein endete jetzt knapp unterhalb des Knies. Die schwarze Klappe über den Überresten seines linken Auges verlieh ihm ein verwegen-elegantes Aussehen. Doch sein Gesicht war schrecklich vernarbt … und der Erste Ratgeber im Ruhestand war viel, viel dünner, als Sharleyan das in Erinnerung hatte.
Natürlich fühlt er sich gebrechlich an! , schalt sie sich innerlich. Seit dem Anschlag sind kaum sechs Monate vergangen. Es dauert seine Zeit, sich von so etwas zu erholen – wenn das überhaupt je geschieht. Und der Jüngste ist er ja nun auch nicht mehr.
»Du«, sagte sie, richtete sich auf und mühte sich redlich, ihre Besorgnis zu verbergen, »bist unverbesserlich.«
»Stimmt. Und was nun meine Frage angeht …?«
»Na gut, na gut, ich gebe auf!« Theatralisch schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen. Dann kam sie, wieder ernst geworden, zum Thema: »Eigentlich gefällt er mir ausnehmend gut. Sicher, ich vermisse Erzbischof Pawal … und ich will gar nicht daran denken, wie er ums Leben gekommen ist.« Ihr Gesichtsausdruck verfinsterte sich, als ihr erneut die Aufnahmen durch den Kopf gingen: wie der Erzbischof sich in seiner Kathedrale auf den Attentäter mit der Granate gestürzt und die Explosion mit dem eigenen Körper abgefangen hatte. »Ulys macht den Eindruck eines hochintelligenten Mannes«, fuhr sie fort, »und ich muss sagen, er scheint mir … ach, ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll! Cayleb würde wohl sagen: Er hat mehr Feuer im Leib als Erzbischof Pawal.«
»Damit könntest du durchaus recht haben«, meinte Green Mountain. »Pawal war ein guter Mann. Niemand auf der Welt war fester entschlossen, stets das Richtige zu tun. Aber ich hatte immer den Eindruck, seine Prinzipien trieben ihn zu Entscheidungen, die sein Herz kaum zu ertragen vermochte. Der junge Ulys hingegen ist ein Reformist vom Scheitel bis zur Sohle.« Er schüttelte mit einem bedauernden Lächeln den Kopf. »Er hasst die ›Vierer-Gruppe‹ mit so viel Feuer und Leidenschaft, dass ich hin und wieder das Gefühl nicht los werde, er habe Schwierigkeiten, das mit seiner Berufung zum Priester zu vereinbaren. Und ich glaube, er passt deutlich besser zu … deinen Bedürfnissen, als das bei Pawal der Fall war. Ja, manchmal befürchte ich genau das.«
»Was meinst du
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